Die Legenden von TargAnor
Beitrag für den Autoren-Adventskalender, Osterspecial 2025
»Es ist doch zum aus der Haut fahren!«, rief Nugella, die Zwergin, wütend und schmiss die Tür ihres Kaltstellschranks zu.
Gramir, ihr Gatte, der eben noch gemütlich in seinem Ohrensessel in der Wohnstube gedöst hatte, schreckte hoch. »Was ist denn los, Schäuzelchen?«, fragte er.
»Mir sind die Nomeneier ausgegangen«, rief sie ihm zu.
»Wohin sind sie denn ausgegangen? In die Zwergenoper?«, fragte er schalkhaft nach.
Dem fliegenden, klitschnassen Geschirrtuch, konnte er nur entgehen, weil er sich schnell aus dem Sessel fallen ließ.
»Was stellst du für dusselige Fragen, Gramir? Los! Geh Nomeneier holen!«, befahl ihm seine Gattin.
»Aber Schnäuzelchen. Der Nomeneierhändler kommt doch nur einmal in der Woche hier vorbei«, erwiderte er, während er sich aufrappelte.
»Dann geh zu ihm und kaufe welche!«, entgegnete sie mürrisch. »Bald ist Großhasentag. Und wenn ich da keine Nomeneier habe, dann fällt alles ins Wasser. Wie stehe ich sonst vor Herinde, Beresol, Malfred und Carina da?«
»Aha. Daher weht also der Wind. Es geht mal wieder um die Schnösel und ihre Frauen.«
»Sag nicht immer Schnösel zu ihnen, Gramir!«, fauchte Nugella.
»Wenn es aber nun mal welche sind?«, fragte der Zwerg und war bemüht, es nicht wie eine Kriegserklärung klingen zu lassen.
»Das sind meine Freundinnen. Und ihre Männer sind …«
»Ja, ja … gestandene Zwergsbilder«, beendete ihr Mann den Satz.
»Ganz genau. Also los, mach dich auf den Weg!«
Gramir schlurfte missmutig in den Flur, stopfte die Füße in die schweren Stiefel und griff nach seiner Axt.
Genau in diesem Moment steckte Nugella ihren Kopf aus der Küche heraus.
»Oh nein«, sagte er laut und bestimmt. »Diesmal nehme ich die Axt mit. Bei der Sache mit dem Ork damals, habe ich auf dich gehört. Und was ist passiert? Nein, ich nehme die Axt mit!«
»Bitte«, gab sie schnippisch zurück. »Wenn du der Meinung bist, dass dir Nomen gefährlich werden könnten, dann nimm sie eben mit.«
»Die können schon ganz schön biestig werden«, entgegnete der Zwerg.
»Dafür gibt es ja die Nomeneierhändler. Die wissen mit denen umzugehen. Du musst nur die Eier kaufen.«
Im Grunde hatte Nugella Recht. Nomen konnte man auf der Gefährlichkeitsskala mit einer Zwei versehen, wenn Zehn den höchsten Grad darstellte.
Die Wurmwesen erreichten eine Länge von bis zu 50 Zentimetern und sie krochen normalerweise auf dem Boden herum.
Ihre Nahrung bestand aus Insekten, Aas und Morklehm. Die Eier, die sie legten, waren so groß wie Zwergenbierkrüge. Ja, Sie haben richtig gelesen. Nomen brüteten Eier aus, was auch die Forscher TargAnors faszinierte.
Wenn Sie genau wissen wollen, wie groß Zwergenbierkrüge waren, um diese Maße mit einem Nomenei zu vergleichen, dann schauen Sie einfach in die Lexikopädia TargAnoria, dort ist alles genauestens beschrieben.
Nomenweibchen konnten allerdings, wie sich Gramir ausdrückte, biestig werden. Gerade dann, wenn man ihnen die Eier entwenden wollte.
Dann plusterten sie sich bis zu ihrer sechsfachen Körpergröße auf und versuchten einen potentiellen Eierdieb mittels eines übelriechenden Sekrets, welches sie aus Magendrüsen absonderten, zu verscheuchen.
Glauben Sie mir, wer einmal mit dem Sekret eines Nomenweibchens in Berührung kam, der versuchte das in seinem Leben nie wieder.
Gerade auch deswegen gab es den Beruf des Nomeneihändlers. Denn nur diese konnten ein Nomenweibchen dazu bringen, ihre Eier, freiwillig wäre der falsche Ausdruck, herzugeben.
Man musste ein Weibchen zum Lachen bringen, sodass es seine Eier aus den Augen verlor und dann schnell zugreifen.
Zwerge waren eher nicht für den Beruf eines Nomeneihändlers geeignet. Nicht etwa, dass sie keinen Humor besäßen, aber war der ihre doch recht rau und so gar nicht der Geschmack eines Nomenweibchens.
Die meisten Nomeneihändler waren Gnolle. Denn der Spaß wurde ihnen bereits bei der Geburt in die Wiege gelegt. Eine ideale Voraussetzung.
Nicht ganz so ideal war, dass Gnolle naiv und leichtsinnig waren. Kaum einer von ihnen erreichte ein hohes Lebensalter. Die meisten starben bei selbstverschuldeten Unfällen.
Gerüchteweise heißt es, dass Gnolle auch durch humorlose Bewohner von TargAnor ihr Ende fanden. Beweise gibt es dafür allerdings keine.
Der Zwerg gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und machte sich dann auf dem Weg zu Glomm, dem Nomeneihändler. Sein Geschäft lag in der dritten Nebenhöhle Dúnbaldurs. Es gab also wenig Gelegenheiten, auf einen Ork zu treffen.
Und Gramir war froh darüber. Seit der Sache mit dem Ork damals, war ein Ork für ihn nicht mehr nur ein Feind, sondern sein ganz persönlicher Albtraum.
Nach nur einer halben Stunde hatte er den Nomeneihändler erreicht, öffnete die Tür und trat ein. Eine kleine Glocke über der Tür kündigte sein Kommen an.
Gramir wartete eine kleine Weile, aber kein Glomm erschien. Er öffnete also noch einmal die Tür, damit die Glocke ertönte. Dann schloss er sie wieder und es läutete erneut.
Kein Glomm.
»Hey, Glomm. Bist du da?«, rief Gramir und wartete auf Antwort.
Nach ein paar weiteren Sekunden entschied sich der Zwerg dazu, nach dem Gnoll zu suchen. Er umrundete den Verkaufstresen und betrat die privaten Räume des Geschäftes.
Doch auch dort fand er keine Spur des Nomeneihändlers und es gab nur noch einen Ort, wo er noch nicht nachgesehen hatte. Das Nomengatter, welches sich hinter dem Geschäft befand.
An der Tür zum Gatter hing ein Schild:
Bedreden erlaubt. Aber keine Eia klauen.
Die Schreibweise erinnerte ihn an die von Horkus, dem Ork, und ihm schauderte.
Quietschend öffnete er die Tür und endlich sah er den Gnoll.
»Hey Glomm, ich brauche ein paar …«, sagte Gramir, doch dann verstummte er, denn etwas stimmte nicht.
Der Körper des Gnolls war merkwürdig verdreht. Ein Bein hing scheinbar in die Luft, doch wenn man genau hinsah, dann konnte man erkennen, dass sich sein Bein in einer Schlinge verknotet hatte, die dem Gnoll um den Hals hing.
Gramir trat einen Schritt vor und tippe den Nomeneihändler an. Und durch diese Berührung kam sein Körper in Bewegung. Langsam drehte er sich und der Zwerg erstarrte.
Glomm sah ihn aus aufgerissenen Augen an. Die Zunge hing ihm aus dem Mund und sein Gesicht war blau angelaufen. Um seinen Hals hatte sich die Schlinge gebunden, in der auch sein Bein steckte.
»Mist«, rief Gramir. »Der is hin.«
Ein typischer Gnolltod, dachte er. Jeder Gnoll wäre auf ihn stolz gewesen.
Aber was sollte er nun tun? Er zog seine Axt vom Rücken, zielte auf das Seil und schlug dann zu. Mit einem »Plopps« fiel der Leichnam des Gnolls zu Boden.
Um den toten Körper Glomms brauchte sich Gramir nicht zu kümmern. Die Nomen würden das erledigen.
Suchend sah sich der Zwerg um. An den Seiten des Gatters standen mehrere Kisten aufgestapelt herum, aber sie waren leer.
Wahrscheinlich war Glomm ums Leben gekommen, als er die Nomeneier ernten wolle. Wobei Ernten ein blödes Wort war, aber ihm kein besseres einfiel.
Gramir erkannte, dass die Nomenweibchen in einer Ecke des Gatters zusammenkauerten und sich jedes von ihnen um ein Ei geschlängelt hatte.
Er überlegte, ob er wirklich wagen sollte, was er im Begriff war zu tun. Aber hatte er denn eine Wahl? Er konnte nicht ohne Nomeneier zurück nach Hause kommen. Nugella würde ihm einen Mopp um die Ohren hauen und ihn nach Tin Farum schicken. Und dazu hatte er keine Lust.
Er versuchte, sich zu erinnern, ob jemals jemand erwähnt hatte, wie man Nomenweibchen die Eier abnehmen konnte, aber ihm fiel nichts ein.
Also betrat er das Gatter und ging auf die Nomen zu. Diese beachteten ihn nicht. Er trat näher. Noch immer nahmen die Weibchen keine Notiz von ihm. Aber sie wussten, dass er da war.
Gramir überlegte, und dann griff er blitzschnell zu und entriss einem der Weibchen ihr Ei.
Er grinste und fragte sich, warum man sagte, dass Nomen biestig werden können.
Nur einen Augenblick später, wusste er, warum.
Das Weibchen plusterte sich auf und wurde größer und größer.
»Ui«, sagte Gramir staunend und dann passierte es: Aus ihren Magendrüsen schoss das Nomenweibchen das Sekret auf den Zwerg ab.
Ein ganzer Schwall der übelriechenden Flüssigkeit hüllte ihn ein.
Und das führte dazu, dass sich auch die anderen Fünf aufplusterten und ebenfalls ihr Sekret auf den Zwerg schleuderten.
Denn der Abwehrmechanismus eines Nomenweibchens sorgte dafür, dass sich in der Nähe befindliche Artgenossen ebenfalls aggressiv zeigten.
Und genau das passierte hier.
Nun aber wurde der Zwerg wütend. »So, ihr wollt einen Kampf?«, fragte er die Nomen laut. »Das könnt ihr haben!« Er erfasste seine Axt und griff die Weibchen an.
Natürlich hatten ihm die Wurmwesen nichts entgegenzusetzen. Stellen Sie sich einfach den ungleichen Kampf eines Storches mit einem Regenwurm vor.
Schon nach wenigen Minuten war alles vorbei und Gramir stand in einer stinkenden Lache im Gatter. Um ihn herum lagen die zerteilten Überreste der Nomen.
»Das soll euch eine Lehre sein«, sagte er, schultere die Axt, nahm sich die Eier und trat den Heimweg an.
Sämtliche Zwerge, die ihm auf dem Weg zu seiner Behausung begegneten, hielten sich die Nase zu und gingen ihm angeekelt aus dem Weg.
Endlich hatte er sein Zuhaus erreicht, öffnete die Tür und trat ein.
»Schnäuzelchen, du glaubst nicht, was mir passiert ist«, rief er.
Ring kam freudig auf den Zwerg zu gerannt, bremste dann aber scharf, verzog die Schnauze und raste winselnd davon.
Nugella lugte aus der Küche hervor, würgte und verschwand wieder.
»Ich habe die Nomeneier«, rief Gramir stolz.
Seine Frau kam, ein nasses Küchentuch vor Mund und Nase gebunden, aus der Küche heraus und hielt ihm aus gebührender Entfernung einen Mopp entgegen, an dem ein Korb hing.
»Pack die Eier da rein und dann machst du, dass du aus unserer Wohnung verschwindest!«
»Aber Schnäuzelchen«, erwiderte Gramir und verstand nicht, was er denn nun schon wieder falsch gemacht haben sollte. »Gut, ich rieche vielleicht etwas streng, aber …«
»Geh zu den Quellen und bade. Aber heiß!«, befahl ihm Nugella.
»Baden? Nur über meine …«
Das Wort Leiche brauchte er nicht mehr aussprechen, denn seine Frau hatte ein Fleischerbeil erhoben und zielte damit auf ihn.
»Ist ja gut, Schnäuzelchen«, sagte er kleinlaut und verließ schnell seine Behausung.
Niemand begegnete ihm auf dem Weg zu den Quellen, denn alle Bewohner und Gäste des Zwergenreichs Dúnbaldur, machten einen großen Bogen um ihn.
Es dauerte Stunden, bis Gramir sich so weit gesäubert hatte, dass der Gestank des Nomensekrets auf ein erträgliches Maß gesunken war.
Seine Rüstung und auch die Unterwäsche, aber war unrettbar verloren. Und da er kein Badetuch mitgenommen hatte, blieb ihm nichts anders übrig, als so, wie er war, noch Hause zu gehen.
Mit den Händen seine Blöße bedeckend, rannte er durch die Straßen des ersten Zwergenreichs. Verfolgt von unbändigem Gelächter.
Er öffnete die Tür und wurde von Nugella empfangen, die ihn ungläubig ansah. »Ist … das … dein … Ernst?«, fragte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Bitte nicht weinen, Schnäuzelchen«, versuchte der Zwerg, seine Frau zu beruhigen. »Ich kann das erklären!«
»Du tust wirklich alles, um dich zum Gespött zu machen«, weinte sie. »Und mich mit.«
Dann drehte sie sich um, ging in die Küche zurück und knallte die Tür zu.
»So eine Eierei«, schimpfte Gramir und verschwand in der Schlafkammer, um sich neu anzukleiden.
Dúnbaldur allerdings, war um eine neue Geschichte reicher.
Ende