ansuess.de

Geschichten aus Dampfholm

Aus dem Buch 1

Die Uhrwerk-Möhre

 

Tief unter den Straßen Berlins, verborgen zwischen knarzenden Zahnrädern, zischenden Dampfrohren und einem vergessenen Grammophon, liegt Dampfholm – die geheime Heimat der Steambunnies.

    Eine Stadt aus Messing, Kupfer und stetigem, mechanischem Summen, erbaut in vergessenen, unterirdischen Kammern der alten Metropole. Nur wenige Menschen wissen von ihrer Existenz. Und das ist auch gut so, denn Dampfholm ist ein Ort voller Wunder, den man nicht einfach betreten kann.

    Die Steambunnies selbst – kleine, dampfbetriebene Maschinenhase mit glänzenden Ohren aus Kupfer und Herzen voller unbändiger Neugier – wussten sehr wohl, dass über ihnen eine große Stadt existierte. Doch nur in Ausnahmefällen wagten sie sich an die Oberfläche. Die meisten von ihnen waren mit ihren Abenteuern in den labyrinthartigen Tunneln, Werkstätten und Bibliotheken Dampfholms mehr als ausgelastet.

    Erschaffen wurden sie von einem Mann, der ebenso genial wie gefährlich chaotisch war: Professor, Professor, Doktor, Doktor Theobald Meiringen – ein Erfinder mit wirrem Haar, einem verschmierten Monokel und einer Vorliebe für gewagte Experimente.

    Eigentlich hatte er eine Armee mechanischer Helfer für die Wartung seiner Apparaturen erschaffen wollen. Doch wie so oft, wenn Theobald Meiringen etwas konstruierte, geschah etwas völlig Unerwartetes.

    Die Maschinen entwickelten Persönlichkeit. Sie wurden verspielt, neugierig, hilfsbereit – und ganz und gar nicht an fast schon militärischer Effizienz und Gehorsam interessiert. Statt Befehle auszuführen, begannen sie zu träumen. Von Abenteuern. Von Geschichten. Von der Welt da draußen.

    Und obwohl Professor Meiringen lautstark protestierte, »Zieht gefälligst die Schweißnähte und veranstaltet keine Picknicks!«, war einer seiner meist verwendeten Sätze, war es längst zu spät. Die Steambunnies waren nicht länger bloß Erfindungen. Sie waren eine Familie.

    Der Weg der Bunnies nach Dampfholm begann mit einem Knall. Nicht irgendeinem Knall – einem Theobald-Knall. Der Boden vibrierte, Zahnräder sprangen aus ihren Fassungen, und irgendwo jaulte eine mechanische Katze. Die Steambunnies, noch frisch geölt und kaum ein paar Tage alt, duckten sich erschrocken hinter Werkbänke und Kupferleitungen.

    Professor, Professor, Doktor, Doktor Theobald Meiringen tanzte währenddessen vergnügt in seinem Labor um eine brodelnde Dampfkugel. »Genial! Ich habe beinahe aus Versehen die Dampf-Zeit-Faltung erfunden!«, rief er triumphierend – und vergaß, dass das letzte Mal, als er »beinahe aus Versehen« etwas erfunden hatte, eine halbe Eisenbahn-Station rückwärts durch die Zeit gereist war. Für exakt 8 Minuten und 17 Sekunden.

    Die Bunnies begannen zu flüstern. Zuerst nur ein leises Zischen von Ventilen und ein Klicken winziger Zahnräder – dann wuchs der Gedanke zu einem Plan und aus den Geräuschen wurden Worte.

    Es war Puffel, der als Erster den Mut fasste, es auszusprechen: »Wenn wir hierbleiben, werden wir irgendwann explodieren. Oder schlimmer – der Professor könnte uns in dampfbetriebenen Hamster verwanden!«

    Die anderen nickten. Das Labor war kein Ort für neugierige Wesen mit glänzenden Kupferohren. Es war ein Ort für Wahnsinn, Blitze und instabile Experimente.

    In der darauf folgenden Nacht – während der Professor fest eingeschlafen war, sein Monokel noch dampfend in einer Tasse Tee – rollten sich die Bunnies leise aus dem Hauptlager. Mit kleinen Schraubenschlüsseln, leeren Teedosen als Rucksäcken und einer selbstgebauten Karte aus zusammengetackerten Teebeuteln machten sie sich auf den Weg.

    Sie krabbelten durch Belüftungsschächte, huschten an knisternden Ætherkabeln vorbei und fuhren auf einem rostigen Servierwagen durch einen Versorgungstunnel – stets begleitet vom leisen Zischen ihrer Dampfkessel. Am Ende fanden sie ein vergessenes Areal unter Berlin, voller verrosteter Technik, alter Musik und schlafender Zahnräder.

    Dort bauten sie sich ihre eigene Stadt. Ohne Explosionen. Ohne Zeitreisen. Und ohne ständigem Risiko, in einen sprechenden Schraubenzieher verwandelt zu werden.

    Der Professor bemerkte ihren Weggang erst am nächsten Morgen. Er murmelte ein »Hmpf. Diese Hasen waren eh zu weich gelötet«, und machte sich daran, einen dampfbetriebenen Pfannkuchenwender zu erfinden. Der explodierte wenig später. Natürlich.

    Er kam auch gar nicht auf die Idee, den Bunnies nachzustellen oder sie zur Rückkehr zu bewegen. Ein missglücktes Experiment mehr oder weniger – das fiel nicht ins Gewicht.

    Und so begannen die Steambunnies, ihre Stadt aufzubauen und zu erweitern.

    Den Namen Dampfholm verdankten sie übrigens auch Puffel.

    Der hatte – auf der Suche nach Baumaterial – einen großen Metallkessel gefunden. Der stammte aus der Manufaktur eines gewissen Herrn Markus Dampfholm, seines Zeichens Kesselmacher.

    Wie es so üblich war, wurde der Name der Manufaktur in jeden Kessel eingestanzt. Und als die Bunnies die Gravur entdeckten, beschlossen sie einstimmig, ihrer neuen Stadt diesen Namen zu geben:

    Dampfholm.

    Eines Morgens polterte es im Hasenbau unter dem Kräuterkessel: Eine Nachricht war eingetroffen. Sie kam per Windbrief – versiegelt mit Wachsglanz und duftete verdächtig nach Karottenkuchen.

    »Höchst dringlich!«, rief Kapitänin Knarzia, die Anführerin der Steambunnies, während sie sich ihr Monokel richtete. »Es wurde eine Uhrwerk-Möhre gestohlen! Die einzige ihrer Art, und sie hält den Rhythmus der Stadt in Balance! Ohne sie … kein Taktgefühl, kein Tanz, keine Musik – nicht mal das rhythmische Klopfen unserer Zahnräder!«

    »Das ist ja schrecklich!«, piepste Dampfpfötchen, der jüngste Bunny mit einem Propeller auf dem Rücken. »Wer würde so etwas tun?«

    »Das ist ja schrecklich!«, piepste Dampfpfötchen, der jüngste Bunny mit einem Propeller auf dem Rücken. »Wer würde so etwas tun?«

    »Der Brief stammt vom Uhrwerkmeister persönlich«, murmelte Knarzia. »Aber er riecht mir zu sehr nach Karottenkuchen. Ich überprüfe das.«

    Sie zog ihren tragbaren Dampf-Analyser hervor – eine Art überdimensionierter Teebeutelprüfer mit Summfunktion – und schob das Pergament vorsichtig hinein.

    Nach einem kurzen Surren schob sich ein dünner Streifen Papier aus dem Schlitz – und duftete vage nach Schmieröl und Minztee.

    »Hm. Authentisch. Versiegelt mit dem offiziellen Dreifach-Wachsglanz des Uhrwerkmeisters persönlich.« Sie hielt das Papier hoch. »Die Nachricht ist echt.«

    Fizzle, ein wuseliger Mechaniker mit rußverschmierten Pfoten, einer Schutzbrille auf dem Zylinder und einem Hang zu allem, was explodieren konnte, zupfte nervös an seiner Schutzbrille. »Dann also auf zum Nebelwald.«

    Mumpitz, ein gemütlicher Zeitgenosse mit einem übergroßen Brillenglas auf dem linken Auge, der ihn wie einen leicht verirrten Schielhasen wirken ließ, kratzte sich hinter dem Ohr und fügte hinzu: »Wichtig ist auch, dass der Windbrief nach links raschelt … irgendwie …« Er nahm Knarzia das Pergament aus der Hand, drehte es gegen die Luft und spitzte die Ohren. »Definitiv Südost. Das ist die Richtung des Nebelwaldes.«

    »Du bist wieder oberschlau, oder?«, witzelte Fizzle.

    »Also dann, Aufbruch!«, rief Kapitänin Knarzia. »Sattelt die Kohlestaub-Gondel, packt die Ersatzdüsen und nehmt nur drei Sorten Kekse mit – wir reisen leicht!«

    Während die Kohlestaub-Gondel knarzend durch den Nebelwald zog und ihre Schornsteinfahne kleine Ringe in die milchige Luft puffte, starrten die Bunnies gebannt auf das, was sich direkt unter ihnen erhob:

    Ein mächtiger, schuppiger Rücken, der sich in Zeitlupe zwischen Farnen und moosbedeckten Kupferleitungen bewegte.

    Die Nebelschwaden kräuselten sich wie verschreckter Sahnedampf, als sich das Wesen streckte. Zwei riesige Flügel entfalteten sich – mit dampfbetriebenen Gelenken und filigranen Verstrebungen aus Messing. Die Flügelspitzen zierten hauchzarte Spitzentücher.

    Und dort, mitten auf einer Lichtung aus schimmerndem Moos, saß er:

    Ein Drache.

    Nicht feurig. Nicht schnaubend.

    Sondern … verlegen.

    Er blickte zur Gondel hinauf und nestelte nervös an einem viel zu kleinen Teetablett, das er mit einer Klaue balancierte. Darauf standen sechs winzige Tassen, eine dampfende Kanne und ein Teller mit Lavendelstreuselkuchen.

    »Hallo!«, schnarrte er mit einer Stimme, die wie Teekesselmusik klang. »Darf ich euch zu einem Tässchen Nebelwaldtee einladen? Er enthält beruhigenden Fencheldampf und einen Hauch karamellisierten Moos.«

    Die Steambunnies sahen sich ratlos an. Keiner antwortete. Dann aber ertönte die Stimme von Mumpitz: »Haben Sie auch mit Zimtschaum?«

    Der Drache lächelte schüchtern, was bei seiner Größe und den vielen Zähnen etwas unheimlich wirkte.

    »Selbstverständlich. Ich habe auch Haferdampf und Vanilleschlieren – für empfindliche Mägen.«

    Das schien die Bunnies zu überzeugen. Wenige Minuten später saßen sie auf einer weichen Moosdecke inmitten der Lichtung.

    Der Drache hatte eine wackelige Teetafel aufgebaut, bei der das Zuckerglas größer war als Fizzle.

    Kapitänin Knarzia schlürfte vorsichtig den Fencheldampf, Mumpitz träufelte sich großzügig Zimtschaum auf seinen Teller, obwohl der eigentlich für den Tee gedacht war, und Dampfpfötchen ließ sich vom Drachen erklären, wie man mit den Flügeln die Luft »verwirbelt«, um die Teetemperatur konstant zu halten.

    Erst nach der dritten Tasse kam Knarzia zur Sache: »Ehrwürdiger … äh … wie dürfen wir euch nennen?«

    Der Drache verbeugte sich. »Ich bin Dampfrich, der Hüter des Nebelwaldpfades. Nicht feuerspeiend, nur dampfend. Und was führt euch in mein bescheidenes Moosgebiet?«

    Fizzle schob eine kleine Skizze über den Tisch – eine schematische Zeichnung der Uhrwerk-Möhre – mit eingebauter Selbstzerstörungsautomatik, die aber auf seiner Fantasie beruhte und die Realität in keiner Weise widerspiegelte.

    »Das ist eine Uhrwerk-Möhre. Und sie wurde gestohlen. Ohne sie gerät Dampfholm aus dem Takt«, erklärte er dem Drachen.

    Dampfrich runzelte die Stirn – was mehrere Moosstückchen aus seinem Augenbrauenkamm rieseln ließ.

    »Das erklärt das verstimmte Ticken heute früh …«

    Er legte eine Kralle ans Kinn.

    »Ich sah eine Silhouette … klein, mit flatterndem Umhang … Sie verschwand in der Richtung des alten Glockenwerks. Dort, wo der Nebel besonders dick ist und sogar die Pilze flüstern.«

    »Unser Glockenwerk?«, fragte Dampfpfötchen.

    »Naja, kennt ihr noch eins?«, entgegnete der Drache.

    Kapitänin Knarzia erhob sich. »Dampfrich, ihr habt uns sehr geholfen. Wenn ihr jemals Möhrenhonig braucht – sagt Bescheid!«

    Der Drache verneigte sich ein letztes Mal. »Gute Reise, tapfere Dampfohren. Und passt auf, dass ihr nicht vom Weg abkommt – im Glockenwerk hallt nicht nur der Klang der Zeit … sondern manchmal auch der von Dingen, die man längst vergessen hat.«

    Die Bunnies bedankten sich artig mit tiefen Verbeugungen, auch wenn sie nicht verstanden, was ihnen der Drache damit sagen wollte.

    Mumpitz vergaß vor lauter Ehrerbietung fast seinen letzten Schluck Tee, holte das aber in einem schnellen Rückwärts-Schluck nach.

    Dann kletterten sie wieder in die Kohlestaub-Gondel, die bereits leise zischend wartete und langsam auf Betriebstemperatur stieg.

    »Ziel: Glockenwerk!«, rief Kapitänin Knarzia, während sie einen Hebel nach unten klappte, der mit einem Schildchen beschriftet war: Nur im Notfall – oder bei Abenteuern.

    Mit einem sanften Ruck erhob sich die Gondel in den nebelverhangenen Himmel. Unten verschwand Dampfrich zwischen Farn und Teekanne.

    Dampfpfötchen drückte seine Nase ans Fenster. »Glaubt ihr, es stimmt? Dass da Dinge sind, die man besser vergessen hätte?«

    »Wenn sie aus Metall sind, kann man sie wenigstens gut polieren«, brummte Fizzle und fummelte an einem dicken Schraubenschlüssel mit eingebautem Kompass herum. Der Zeiger drehte sich wild im Kreis.

    »Hmm. Offenbar zeigt er auf ›Unruhe‹. Das passt irgendwie.«

    Mumpitz hingegen saß in einer Teekiste, lutschte an einem Lakritzzahnrad und starrte in die Dunstwand.

    »Ich glaube, ich höre schon was …«, murmelte er.

    »Was denn?« fragte Dampfpfötchen.

    »Glöckchen«, flüsterte Mumpitz. »Und … Schritte.«

    In diesem Moment ruckelte die Gondel. Ein kurzer Schlag ging durch das Gestänge, als hätte etwas Unsichtbares daran gezupft.

    »Das war sicher nur eine Turbulenz«, sagte Fizzle und zog seine Brille etwas tiefer.

    Niemand erwiderte etwas.

    Der Nebel wurde dichter. Er war jetzt nicht mehr milchig, sondern graugrün.

    Unten schälten sich Schatten aus dem Dunst – krumme Bäume, verdrehte Rohre, verrostete Zahnräder, die wie verlassene Blüten in den Himmel ragten.

    Und dann … Ein Ton. Zart. Gläsern. Fast freundlich.

    Pling.

    Dann noch einer.

    Plong.

    Und dann nichts mehr.

    »Das war … hübsch«, flüsterte Dampfpfötchen.

    Fizzle schluckte. »Ich hasse hübsche Glocken.«

    Plötzlich flog etwas an der Gondel vorbei – für alle anderen nur ein Rattern, ein Lachen, ein Windstoß.

    Doch Mumpitz konnte im Bruchteil einer Sekunde etwas erkennen – zwei leuchtende Augen. Einen Hut. Und dann war es fort.

    Er sagte nichts.

    Nicht, weil er sich fürchtete – sondern weil er sich nicht sicher war, ob er nicht doch etwas zu viel Zimtschaum gegessen und sich die Augen und den Hut vielleicht nur eingebildet hatte.

    Stattdessen kaute er weiter an seinem Lakritzzahnrad und sah in die Nebelwand, die sich langsam lichtete.

    Dampfpfötchen schnüffelte. »Riecht es hier nach … altem Öl?«

    »Das ist der Geruch des Glockenwerks«, flüsterte Kapitänin Knarzia.

    Die Kohlestaub-Gondel glitt jetzt zwischen zwei metallenen Türmen hindurch, deren Zacken wie rostige Metalldrachen-Zähne in den Nebel ragten. An den Seiten der alten Konstruktion schlugen zwei kleine Hämmer rhythmisch gegen verwitterte Messingplatten.

    Pling.

    Plong.

    Fizzle stand am Rand der Gondel, zog seine Brille zurecht und starrte nach unten.

    »Ich kann den Hauptturm sehen. Da ist auch die Landeplattform.«

    Knarzia legte einen Schalter um und die Gondel setzte zur Landung an.

    Knarzia legte einen Schalter um, und die Gondel setzte zur Landung an.

    Die Hämmer am Glockenturm schlugen weiter im Takt:

    Pling. Plong. Pling. Plong.

    Als sie sich der Plattform näherten, trat eine Gestalt aus dem Dunst. Klein, drahtig, mit einem knarzenden Gelenk im linken Knie.

    Er trug einen abgewetzten, schiefergrauen Mantel, eine Brille mit fünf Gläsern übereinander – und einen Bart, der aussah wie ein verheddertes Uhrenfedermodell.

    Der Uhrwerkmeister.

    Er winkte ihnen zu – mit einer Hand, die offenbar früher einmal eine Zange gewesen war.

    »Willkommen!«, rief er.

    Seine Stimme klang wie ein Glockenschlag, der zu oft zurückgespult wurde.

    »Er wirkt … etwas überdreht«, murmelte Dampfpfötchen.

    »Er ist überdreht«, zischte Fizzle. »Der Mann lebt seit Jahrzehnten zwischen Taktgebern und Zahnradspiralen!«

    Die Gondel setzte auf und mit einem leichten Zischen öffnete sich die Einstiegsklappe.

    Die Bunnies hüpften hinaus – einer nach dem anderen und bewegten sich vorsichtig über das knarzende Metall der Landeplattform.

    Der Uhrwerkmeister wartete ab und als Kapitänin Knarzia vor ihm stand, öffnete sich sein Gesicht zu einem breiten Lächeln.

    »Na sowas … wenn das nicht meine Lieblingskapitänin ist!«

    »Tacker! Du siehst aus, als hättest du zu wenig Tee und zu viel Zahnradsalat gehabt«, erwiderte sie grinsend. Dann fiel sie ihm um den Hals.

    Es war eine kurze, aber echte Umarmung. Einer dieser Momente, in denen man spürt, dass zwei Wesen schon viele seltsame Tage miteinander erlebt hatten – und ein paar Explosionen überlebt.

    »Was ist passiert?«, fragte Knarzia leise, nachdem sie sich gelöst hatten. »Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten.«

    Tacker seufzte. Ein mechanisches Pfeifgeräusch entwich seiner linken Schulter.

    »Jemand hat sie gestohlen. Die Uhrwerk-Möhre. Einfach rausgerissen, mitten in der Nacht. Ohne sie läuft das Glockenwerk nur noch auf Notfalltaktung.«

    Fizzle schnappte nach Luft. »Ohne Möhre … kein Synchronlauf!«

    »Ganz genau«, nickte Tacker. »Die Zeit ist aus dem Takt geraten. Nicht schlimm genug, dass man’s merkt – aber gerade schlimm genug, dass alles … schief klingt. Der Nebelwald hallt falsch. Selbst die Pilze klopfen daneben.«

    »Die Pilze klopfen?«, fragte Mumpitz verwirrt.

    »Das nennt man eine Metapher«, erklärte Dampfpfötchen.

    »Das wusste ich … ehrlich!«, erwiderte Mumpitz und Fizzle sah ihn feixend an.

    Tacker führte die Bunnies durch ein knarzendes Zahnradtor, das nur durch einen gezielten Schlag auf eine blecherne Triangel geöffnet wurde.

    »Willkommen im Inneren des Glockenwerks«, sagte er feierlich – und trat beiseite, damit sie eintreten konnten.

    Ein schmaler Gang aus Messingplatten erstreckte sich vor ihnen. Die Wände bestanden aus rotierenden Zahnrädern in allen Größen. Manche drehten sich mit heiterem Ticken, andere knirschten, als wären sie gerade erst aus einem sehr langen Nickerchen erwacht.

    »Bleibt auf dem Mittelsteg«, warnte Tacker. »Wenn euch ein Zahnrad erwischt, werdet ihr für exakt drei Stunden Teil des Mechanismus. Nicht schlimm, aber langweilig.«

    Die Steambunnies nickten und marschierten los. Fizzle vorneweg, seine Schutzbrille tief ins Gesicht gezogen, der Schraubenschlüssel mit dem Kompass wild zuckend in der Pfote.

    »Er zeigt auf ›Klingklong‹«, murmelte er. »Ich wusste gar nicht, dass das eine Himmelsrichtung ist.«

    Hinter ihm trottete Mumpitz, vorsichtig auf einem Knäckebrot balancierend, das er spontan als improvisierte Trittsicherheitsmatte zweckentfremdet hatte.

    Dampfpfötchen hingegen ließ sich vom Anblick der riesigen Pendel an den Seiten ablenken. Sie schwangen gleichmäßig, aber mit einem leichten Nachhall, der sich unheimlich vertraut anhörte.

    »Ist das … Musik?«, fragte er leise.

    Knarzia blieb stehen und lauschte. Ein zartes Summen. Ein Rhythmus. Fast wie ein Schlaflied, gespielt auf Zahnrädern und Dampf.

    Tacker deutete auf eine verbogene Abdeckklappe am Rand des Glockenwerks und sagte: »Hier kam der Dieb rein. Hat die Sicherungsklammer der Möhre gelöst und sie einfach herausgezogen. Das Ticken hörte schlagartig auf. Seitdem läuft hier alles auf Notfalltaktung.«

    Kapitänin Knarzia trat näher und betrachtete die Spuren. Die kleine Öffnung war kaum groß genug für einen Steambunny, aber jemand mit Flügeln, schlankem Körper und einem Gespür für heimliches Schleichen hätte es schaffen können.

    »Wohin führt der Schacht?«, fragte Fizzle.

    »Nach draußen«, antwortete Tacker. »Ein alter Wartungsschacht, der direkt in den oberen Nebelwald führt. Wird kaum genutzt. Früher schon, von ein paar mutigen Fledermäusen.«

    »Fledermäuse …«, murmelte die Kapitänin.

    Mumpitz hob den Lakritzzahnradstummel, den er noch in der Pfote hielt. »Ich hab da was gesehen vorhin … als wir ankamen. Zwei leuchtende Augen und einen Hut.«

    Knarzia sah ihn scharf an. »Und warum sagst du das jetzt erst?«

    »Ich dachte, das war der Zimtschaum.«

    »Du hast dir aber auch den Teller vollgeschaufelt«, rügte ihn Fizzle. »Da kann man schon mal Halluzinationen bekommen.«

    »Deswegen habe ich ja auch nichts gesagt«, murmelte Mumpitz.

    Fizzle starrte in den Schacht, dann auf den Lakritzzahnradstummel in Mumpitz’ Pfote – und plötzlich machte es klick. Also nicht wörtlich. Mehr so innerlich. Wie ein Ventil, das auf einmal Druck lässt.

    »Moment mal«, sagte er gedehnt, so wie er es immer tat, wenn sich in seinem Kopf ein Geisterblitz anbahnte. »Leuchtende Augen. Ein Hut. Du sagst, das ist an uns vorbeigeflogen, Mumpitz?«

    Der Bunnie dachte kurz nach und sagte dann: »Ja, ich denke schon.«

    »Dann war das der Dieb!«, fasste Fizzle zusammen.

    Dampfpfötchen klappte der Mund auf. »Du meinst, der Dieb ist an uns vorbeigeflogen? Aber warum?«

    »Vielleicht war er neugierig?«, mischte sich Mumpitz ein.

    Knarzia sah ihn an. »Du hast ihn gesehen. Oder? Bist du sicher, dass du ihn gesehen hast?«

    Mumpitz schob den Lakritzzahnradstummel ein Stück tiefer in die Pfote. »Ich bin mir nicht sicher. Es ging schnell. Ein Schatten. Augen. Ein Hut. Und dann war er weg.«

    Dampfpfötchen verschränkte die Pfoten. »Also wissen wir: vielleicht … gar nichts. Irgendwie ist das eine sehr wackelige Spur.«

    »Wackeliger als Mumpitz nach drei Tassen Fencheldampf«, grinste Fizzle.

    »Ich kann sehr standfest sein, wenn ich will!«, protestierte Mumpitz. Dann etwas leiser: »Nur eben nicht immer.«

    Knarzia trat einen Schritt vom Schacht zurück, die Pfoten auf dem Rücken verschränkt. Ihre Ohren zuckten leicht – das taten sie immer, wenn sie nachdachte.

    »Du hast nichts gesehen, Tacker?«, fragte sie dann.

    Der Uhrwerkmeister schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«

    »Denk bitte genau nach. Alles kann helfen, jede kleine Spur.«

    »Jetzt ist Knarzia in ihrem Element«, flüsterte Dampfpfötchen.

    »Ja, da kommt der Sherlhopp in ihr durch«, stimmte Fizzle zu. »Der ist ja ihr großes Vorbild.«

    »Vielleicht sollten wir den zu Hilfe rufen?«, warf Mumpitz ein.

    »Bis der hier ist, ist die Zeit aus dem Takt. Denk doch einfach einmal logisch«, murrte ihn Fizzle an.

    »Ich bin logischer als du, bei mir explodiert nicht so viel!«, entgegnete Mumpitz.

    »Ruhe da!«, herrschte die Kapitänin sie an und die drei Steambunnies verstummten.

    »Naja, also … vielleicht ist ja unwichtig, aber … es gibt seit einiger Zeit einen neuen Bewohner im Nebelwald. Herr Flatter. Der hat schon einige Briefe an die Tür unseres Uhrwerks geheftet.«

    Knarzias Ohren zuckten erneut. Diesmal nicht wegen des Nachdenkens. Sondern wegen einer Spur.

    »Herr Flatter«, wiederholte sie langsam. »Was genau steht in diesen Briefen?«

    Tacker hob abwehrend beide Hände – beziehungsweise seine Hand und seine Zange. »Nichts Dramatisches. Nur … dass das Ticken zu laut sei. Und das Pendel zu rhythmisch. Und dass er nicht schlafen könne. Oder denken. Oder meditieren.«

    »Also jemand mit empfindlichem Gehör«, murmelte Dampfpfötchen.

    »Jemand, der Flattern im Namen trägt und sich über Geräusche beschwert«, fügte Fizzle hinzu. »Ich will ja nichts sagen, aber das klingt für mich verdächtig nach einem leise flatterndern Hutflieger.«

    Mumpitz blinzelte. »Das ist … nicht ganz unlogisch.«

    Fizzle grinste. »Danke, Mumpitz.«

    »Hast du diesen Herrn schon einmal gesehen?«, fragte die Kapitänin den Uhrwerkmeister.

    Tacker dachte nach. Und schließlich antwortete er: »Ja, einmal. Bei einer Nebelwaldbürgerversammlung. Da hat er Eingaben gemacht, die eigentlich völlig sinnlos für alle anderen waren. Es waren eben nur Fledermaus Vorschläge.«

    Knarzia horchte auf und ihre Ohren zuckten wieder. »Eine Fledermaus? Herr Flatter ist eine Fledermaus?«

    Tacker sah sie an und nickte. »Ja, genau.«

    »Hast du nicht gesagt, dass der alte Wartungsschacht nur von ein paar mutigen Fledermäusen genutzt wird?«

    »Wurde. Das ist lange her.«

    »Aber er hat sich über das Ticken beschwert, richtig?«

    »Ja, ja. Das hat er. Ihr wisst ja, wie das ist: Da zieht jemand her und will alles ändern«, antwortete der Uhrwerksmeister.

    »Ich denke, wir sollten uns mit Herrn Flatter einmal unterhalten«, stellte die Kapitänin fest.

    Der Weg zu Herrn Flatter war kaum mehr als ein Trampelpfad – halb zugewachsen, mit Wurzeln, die sich wie schlafende Schlangen über den Boden legten. Die Luft war feucht und gedämpft. Jedes Vogelgezwitscher, jeder Windhauch klang unnatürlich leise. Das Knirschen von Fizzles Schutzbrille, die nicht fest genug auf seinen Ohren lag, war allerdings laut genug.

    »Irgendwie … ist es hier stiller als anderswo«, flüsterte Dampfpfötchen.

    »Vielleicht hat er den Wald schallisoliert«, murmelte Mumpitz. »Er scheint doch keine Geräusche zu mögen.«

    Fizzle schnaufte. »Wahrscheinlich mit Moos. Moos ist hervorragend. Ich hab mal ein ganzes Grammophon damit eingewickelt. Hat geklungen wie … ein gurgelnder Wackelpudding.«

    »Psst!«, machte Knarzia. Ihre Ohren stellten sich auf.

    Zwischen zwei moosverhangenen Bäumen ragte ein kleines, windschiefes Häuschen aus dem Nebel. Die Fenster waren rund, die Tür leicht verzogen, und über dem Eingang hing ein Schild:

    „Bitte nicht klopfen. Ich höre alles.“

    »Na, das klingt ja einladend«, flüsterte Fizzle.

    Knarzia las das Schild, verzog keine Miene – aber ihre Ohren zuckten einmal kurz. »Pah!«, sagte sie, stellte sich auf die hinteren Pfoten, hob die vordere – und klopfte.

    Für einen Moment war es vollkommen still. Dann knackte etwas im Inneren. Schritte? Flügelschläge? Ein leises Räuspern?

    Die Tür öffnete sich. Langsam. Quietschfrei.

    Und in der Dunkelheit dahinter schimmerten zwei gelbe Augen.

    »Könnt ihr nicht lesen?«, fragte Herr Flatter. Da steht laut und deutlich …«

    Mumpitz konnte nicht an sich halten und unterbrach: »Wie kann denn etwas laut geschrieben sein?«

    »Das ist eine Metapher«, knurrte Herr Flatter.

    »Mumpitz, warum musst du dich denn immer einmischen?«, fragte Fizzle. »Ist doch klar, dass das eine Metapher ist.«

    Mumpitz winkte schmollend ab.

    »Wir haben da ein paar Fragen, Herr Flatter«, sagte Kapitänin Knarzia und sah ihn streng an.

    »So? Und wer sind sie? Und warum sollte ich Antworten auf ihre Fragen haben?«

    »Mein Name ist Knarzia. Wir kommen aus Dampfholm und wollen aufklären, wo unsere Uhrwerk-Möhre abgeblieben ist. Sie wurde gestohlen.«

    »Wollen sie etwa andeuten, ich hätte etwas damit zu tun?«, fragte Herr Flatter entrüstet.

    Knarzia blieb ruhig. »Ich deute gar nichts an. Ich stelle fest: Sie wohnen in der Nähe des Glockenwerks. Sie haben sich mehrfach über das Ticken beschwert. Und Sie besitzen Flügel.«

    Herr Flatter schnaubte. »Ich besitze auch eine Teekanne. Will sagen – nicht alles, was man hat, wird gleich zur Beweiskette!«

    »Wir wollen niemanden beschuldigen«, warf Dampfpfötchen ein. »Wir wollen nur reden. Ganz ruhig. Ohne … laute Uhren.«

    »Ich hasse laute Uhren«, zischte Herr Flatter. »Sie ticken. Und klicken. Und klimpern!«

    »Das ist ja auch ihr Job«, murmelte Fizzle.

    Herr Flatter drehte sich langsam zu ihm. »Waren Sie schon einmal dabei, wenn ein Uhrpendel im Takt mit ihrem Herzschlag schwingt, bis Sie das Gefühl haben, ihre Gedanken werden … gestanzt?«

    »Ähm … nein?«, antwortete Fizzle, drehte sich zu den anderen um und deutete eine Bewegung an, die zeigte, dass er Herrn Flatter für verrückt hielt.

    Mumpitz hob zögerlich die Pfote. »Also … ich finde das Ticken eigentlich ganz gemütlich.«

    »Dann tauschen Sie mit mir!«, fauchte Herr Flatter. »Sie schlafen unter meinem Dach, und ich ziehe in Ihr tickendes Elend.«

    »Ich schlafe unter einem Kräuterkessel«, erklärte Mumpitz stolz. »Mit Lavendelbettwäsche.«

    »Das hilft auch nicht gegen rhythmische Geräusche!«, murrte Herr Flatter laut. »Ich habe es ausprobiert. Lavendel. Baldrian. Moos. Teeblätter. Alles!«

    »In den Ohren?«, fragte Dampfpfötchen zaghaft.

    »Natürlich in den Ohren, wo denn sonst?«

    Kapitänin Knarzia räusperte sich. »Herr Flatter. Ist es möglich, dass … Sie die Möhre entfernt haben?«

    Herr Flatter sah sie an. Lange. Seine gelben Augen funkelten wie zwei Messinglinsen im Halbdunkel.

    Dann senkte er leicht den Kopf.

    »Ich … habe sie nicht gestohlen«, sagte er schließlich. »Ich habe sie entfernt. Weil mich das Uhrwerk … wahnsinnig gemacht hat.«

    Es war einen Moment still. Kein Rascheln, kein Ticken, kein Zischen. Nur das gedämpfte Atmen von vier Bunnies und einer nervlich erschöpften Fledermaus.

    Knarzia neigte leicht den Kopf. »Gut, Sie haben sie nicht gestohlen, sondern entfernt. Und wo ist die Möhre nun?«

    Herr Flatter seufzte. Es war ein sehr langgezogener, sehr leidender Seufzer, der sich anhörte, als hätte jemand Teewasser in ein altes Blasinstrument gegossen.

    »Ich … habe sie … in ein Tuch gewickelt. Mehrlagig. Moosummantelt. Und dann … habe ich sie versteckt.«

    »Versteckt?«, fragte Fizzle. »Wo?«

    »In der Nähe des alten Singrohrs«, sagte Herr Flatter. »Dort, wo der Nebel besonders dick ist. Ich habe sie sehr tief in einen Resonanzschacht gesteckt. Da tickt nichts mehr. Kein Ton. Herrliche Stille.«

    »Herr Flatter, sie haben damit das Gleichgewicht unserer Stadt aufs Spiel gesetzt. Ist ihnen das bewusst?«, fragte Knarzia sanft und verständnisvoll.

    Herr Flatter sah sie erschrocken an. »Oh! Das wusste ich nicht. Und das wollte ich auch nicht. Wissen Sie, ich war früher Uhrwerksmeister und daher kenne ich mich mit den Mechaniken aus. Deswegen wusste ich auch, was ich entfernen muss, um das Ticken zu stoppen. Aber ich wusste nicht, was dass auslösen könnte.«

    Knarzia nickte langsam. »Dann haben Sie sie also nicht zerstört.«

    »Um Himmels willen, nein!« Herr Flatter hob beide Flügel. »Ich bin doch keine Unfledermaus! Also … keine bösartige Entität. Ich habe sie nur stillgelegt. Sorgfältig. Fachgerecht. Mit … sehr viel Moos.«

    »Ich bin auch keine Entetität«, warf Mumpitz ein. »Ich weiß nicht mal, was eine Ententitett ist.«

    »Entität!«, berichtigte Herr Flatter den Bunnie. »Das ist das Dasein im Unterschied zum Wesen eines Dinges.«

    Die Steambunnies sahen sich verwirrt an.

    »Ist das eine Metapher?«, fragte Mumpitz schließlich in die Stille.

    »Nein, diesmal nicht«, antwortete die Kapitänin.

    Fizzle kratzte sich am Kopf. »Dann liegt sie da jetzt einfach so rum? In einem … Loch?«

    »In einem Resonanzschacht«, korrigierte Herr Flatter. »Der ist tief. Trocken. Und wunderbar ruhig.«

    »Und Sie könnten uns den Weg dorthin zeigen?«, fragte Dampfpfötchen vorsichtig.

    Herr Flatter sah zur Tür. Dann zu Knarzia. Dann zum Boden.

    »Ich könnte«, sagte er. »Aber nur unter einer Bedingung.«

    »Und die wäre?«, fragte Knarzia ruhig.

    »Wenn ihr sie zurückbringt … dann dämmt ihr sie. Isoliert sie. Verpackt sie in … ich weiß nicht … warmen Filz und einem Schal. Oder baut sie in eine schallgedämpfte Kiste. Irgendetwas!«

    »Wir finden eine Lösung«, versprach Knarzia. »Wir haben einen Tüftler bei uns zu Hause in Dampfholm, dem fällt sicher etwas ein.«

    »Gut«, sagte Herr Flatter. »Dann folgen Sie mir. Und passen Sie auf. Im Nebel verliert man schnell die Richtung – besonders, wenn man sich nach Geräuschen orientieren will, die nicht mehr da sind.«

    Nachdem die Möhre geborgen wurde, machten sich alle, inklusive Herrn Flatter, auf den Rückweg zum Uhrwerk.

    Kapitänin Knarzia hatte unterwegs das Bunniephon gezückt und eine Kurznachricht an Tüftel geschickt.

    Der war natürlich sofort begeistert: »Ich bin schon unterwegs!«, brüllte er durch das Rohr und machte sich mit einem seiner Experimentalmobile auf den Weg.

    Am Uhrwerk angekommen, wurden sie bereits sehnsüchtig von Tacker erwartet. Als er Herrn Flatter erblickte, hielt er kurz inne.

    »Herr Flatter? Haben sie etwa was mit dem Diebstahl der Möhre zu tun?«, fragte er streng.

    Herr Flatter sah betreten zu Boden. »Ich schäme mich, Herr Tacker. Aber es war alles so laut.«

    »Tüftel ist bereits auf dem Weg zu uns«, mischte sich die Kapitänin in das Gespräch ein. »Er wird sicher eine Lösung finden.«

    »Tüftel? Ja, dann kann ja nichts mehr schiefgehen«, sagte Tacker.

    »Kann ich ihnen vielleicht behilflich sein beim Wiedereinbau? Sie müssen wissen, ich war einmal ein Uhrwerkmeister«, fragte Herr Flatter.

    Tacker sah ihn an und die Strenge wich aus seinem Gesicht. »Aber gern, Herr Flatter. Ich freue mich, endlich einen Kollegen kennenzulernen.«

    Dampfpfötchen flüsterte: »Die mögen sich jetzt.«

    Mumpitz nickte und flüsterte zurück: »Das ist wie Liebe auf den ersten Pendelschlag.«

    »Ganz so weit würde ich nicht gehen«, sagte Herr Flatter und sah die beiden Bunnies an, die erstaunt vor ihm standen.

    »Ich höre alles. Ich bin eine Fledermaus«, grinste Herr Flatter.

    Mit vereinten Kräften machten sich Tacker und Herr Flatter ans Werk. Die Möhre wurde vorsichtig aus ihrer moosigen Ummantelung befreit. Es dampfte noch leicht vor sich hin und roch ein wenig nach Pfefferminztee.

    »Sie haben sie wirklich sorgfältig verpackt«, lobte Tacker.

    »Ich hatte ja auch genug Zeit zum Dämmen«, erwiderte Herr Flatter bescheiden.

    Behutsam, mit einer Mischung aus handwerklicher Präzision und einem Hauch Ehrfurcht, setzten sie die Möhre wieder in ihre Halterung. Kleine Dampfwolken stiegen auf, Zahnräder schnarrten kurz, dann … begann es.

    Ein sanftes, sattes Tock … Tock … Tock …, wie ein beruhigender Pulsschlag aus Messing.

    »Der Takt ist wieder da«, flüsterte Dampfpfötchen.

    »Aber nicht so laut wie vorher«, stellte Mumpitz überrascht fest.

    »Ich hab beim Einbau eine Doppeldämpfung eingefügt«, erklärte Herr Flatter. »Moos zwischen die Aufhängung. Und ein winziges Stück Schalldämpferfilz unter dem Schwungrad. Ein Trick aus meiner Lehrzeit.«

    Tacker nickte anerkennend. »Sie haben’s wirklich noch drauf. Möchten Sie nicht … vielleicht öfter mal vorbeikommen? Als … Kollege?«

    »Solange es nicht tickt wie ein Gewitter im Blecheimer – gern. Das ist alles so furchtbar laut.«

    In diesem Moment hörte man von draußen ein eigenartiges Geräusch. Eine Art zischendes Fiepen, gefolgt von einem leichten Pffft! und dann einem scheppernden Klong!

    »Tüftel ist da«, sagte Fizzle trocken.

    Die Tür flog auf – oder besser gesagt, sie klappte umständlich zur Seite, weil ein dampfendes, rollendes, dreirädriges Etwas mit angehängtem Rückwärtslautsprecher davor stand.

    Auf dem Sitz: ein kleiner, wild bebrillter Bunnie mit einem Werkzeuggürtel, in dem mehr seltsames Geklapper steckte als in einer ganzen Bastelbude.

    »Da bin ich!«, rief Tüftel und hüpfte elegant, oder zumindest mit einem Geräusch, das elegant klang, vom Fahrersitz. »Wo ist das Problem? Und wo ist der Tee?«

    Kapitänin Knarzia erklärte Tüftel, was passiert war und dieser war sofort mit Feuereifer dabei, aus seinem mobilen Erfindungsset etwas zu bauen.

    Nur wenige Minuten später kam er mit einer Apparatur zurück, die er Herrn Flatter auf die Ohren setzte, Feinjustierungen vornahm und dann einschaltete.

    Fizzle hatte sich strategisch hinter Mumpitz versteckt. Nur für den Fall der Fälle, dass die Erfindung explodieren könnte. Was sie, im Gegensatz zu Fizzles eigenen Erfindungen, nicht tat.

    Die Augen von Herrn Flatter leuchteten auf. »Ich höre nichts!«, rief er freudig. »Ich höre nichts!«

    »Also die meisten würden sich darüber nicht so freuen«, merkte Mumpitz an.

    »Das habe ich gehört«, sagte Herr Flatter verwirrt. »Aber … wie ist das möglich?«

    Tüftel begann mit einer Erklärung: »Ich habe die Frequenzen der Apparatur so eingestellt, dass es alle Geräusche aus den Luftwellen filtert. Aber trotzdem können sie sich weiter unterhalten.«

    »Erstaunlich«, merkte Herr Flatter an.

    »Eine leichte Übung«, winkte Tüftel ab.

    »Saubere Arbeit. Ich hätte es vielleicht noch mit einer Schneckenwellenkompensation versucht, aber … das hier ist deutlich eleganter.« Tacker hatte sich die Apparatur genauer angesehen.

    Tüftel strahlte. »Ich wusste, du würdest es zu schätzen wissen! Und hier: Ich habe sogar einen Drehregler für selektive Tonausblendung eingebaut. Wenn man zum Beispiel nur ein bestimmtes Geräusch ausblenden will, aber andere weiter hören möchte … Zack! Regler auf ‘Taktlos’ stellen.«

    »Taktlos …«, murmelte Mumpitz. »Das passt zu Fizzle.«

    »Ich hab das gehört«, sagte Fizzle trocken. »Aber ich ignoriere es. Taktvoll.«

    »Bau mir auch so ein Gerät, Tüftel«, sagte Knarzia. »Damit kann ich Streitgespräche gewisser Bunnies ausblenden.«

    Fizzle und Mumpitz sahen sie schmollend an.

    »Ich danke euch. Wirklich. Und ich möchte mich noch einmal entschuldigen, dass ich die Möhre ausgebaut habe«, sagte Herr Flatter – gleichzeitig glücklich und beschämt.

    Knarzia trat neben ihn. »Unser Uhrwerk tickt wieder. Also ist alles im Gleichgewicht.«

    »Nicht ganz«, sagte Tüftel plötzlich.

    Alle sahen ihn erschrocken an.

    Tüftel grinste breit. »Es fehlt noch die Einweihungs-Zurücksetzungs-Kalibrierungs-Zeremonie. Ich hab extra was mitgebracht.«

    Er fischte aus seinem Erfindungsrucksack ein kleines, dampfbetriebenes Musikinstrument – eine Art Drehorgel mit Pfeifton und Glöckchen – und begann, eine schiefe, aber feierliche Melodie zu spielen.

    »Das ist das Möhre-Wiederaktivierungslied!«, rief Dampfpfötchen begeistert.

    »Ich dachte, das wäre die Polka für punktuell piepsende Pendel«, meinte Fizzle.

    »Ihr habt beide Unrecht«, grinste Mumpitz. »Das ist eindeutig die Sonate in C für tickende Gemüse und tanzende Ohrenstöpsel.«

    »Ende gut, alles gut«, sagte Tacker und bot Knarzia die Hand zu einem Tanz.

    »Was war das denn?«, fragte Mumpitz.

    »Metapher«, antwortete Fizzle.

    »Gesundheit.«

Ende

Nach oben scrollen