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Geschichten aus Ak-Duihr

Aus dem Buch 1

Die Erschaffung der Welt

 

Eine Saga aus Ak-Duihr.
Überliefert aus uralter Zeit.

Fröhliche Kinderstimmen tönten durch das kleine Dorf Wallenbern. »Er kommt, er kommt!«, riefen sie laut durcheinander und rannten durch das Dorf.

   Die Bewohner des Dorfes hielten in ihren Tätigkeiten inne und sahen zu den Kindern, die in Richtung des Waldes zeigten, aus der eine Gestalt hervortrat.

   Sie war in einen weiten Umhang gehüllt und langsam schritt sie aus dem Dickicht hervor. Es war Malzius Dampfbart, seinen Zeichens Geschichtenerzähler.

   Auf dem Kopf trug er eine spitze Mütze und er stützte sich auf einen langen Stab, der ihm das Gehen erleichterte. An einem Gürtel trug er mehrere Taschen, Beutel und Anhänger und es klimperte oft bei seinen Schritten.

   Die Menschen strömten aus den Häusern, Arbeitsstellen und der ein oder andere erwachte durch das Kinderlärmen sogar aus seinem Schlaf.

   Malzius winkte freundlich und die Kinder winkten zurück. Manch einer sah ihn eher ärgerlich an, doch es waren nur wenige und er ignorierte dies.

   Mertok, der Dorfoberste, kam ihm entgegengelaufen und grüßte: »Malzius. Es ist lange her, seit ihr das letzte Mal bei uns wart.«

   Malzius nickte. »Mertok, ihr seid also immer noch der Oberste hier. Dann kann es doch gar nicht so lang gewesen sein.«

   Der Oberste wusste nicht, wie der Geschichtenerzähler dies meinte, denn oftmals konnte man aus seinen Worten nicht erkennen, ob er es nun ehrlich freundlich oder eher amüsiert negativ meinte.

   »Ja, es scheint mir, ich mache eine gute Arbeit«, erwiderte Mertok.

   »So scheint es.«

   Und wieder grübelte Mertok. Er gab es aber schnell auf und beschloss, die Worte Malzius als Kompliment zu sehen. Auch wenn er nicht ganz davon überzeugt war.

   »Wo wart ihr so lang? Habt ihr die Welt bereist und neue Geschichten mitgebracht?«

   Malzius lächelte freundlich und antwortete: »Ja, das habe ich in der Tat. Ich werde sie euch zu Gehör bringen. Natürlich nur, wenn es euch genehm ist.«

   »Aber mein bester Malzius. Seit Jahren warten wir auf eure Rückkehr und neue Geschichten.«

   Die Beiden hatten alsbald den Dorfrand erreicht und mussten sich ihren Weg durch die Menschen, die dichtgedrängt beisammen standen, beinahe erkämpfen.

   Wenn Geschichtenerzähler in ein Dorf oder eine Stadt kamen, dann war das immer ein großes Ereignis. Es wurde eine Feier abgehalten und am Abend wurden dann als Höhepunkt die Geschichten erzählt.

   Man sollte nicht verschweigen, dass der ein oder andere diese Erzählungen nicht mehr wahrnehmen konnte, da sie zu viel Wein, Bier oder Met zu sich genommen hatten.

   Zum Glück gab es freundliche Mitbewohner, die diesen armen Geschöpfen, man nannte sie auch scherzhaft Schnapsdrosseln, Weinleichen oder Suffköppe, nachträglich die Geschichten in Kurzform erzählten.

   Die Meisten aber schafften es, den Erzählungen beizuwohnen. Gerüchte, dass es den ein oder anderen dahingerafft hätte, da die Geschichten zu spannend gewesen wären, sollte man dabei allerdings nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Denn dafür gibt es keinen Beweis.

   »Ihr seid sicher nach der langen Reise erschöpft, Malzius«, sagte Mertok. »Wollt ihr zunächst ein kleines Mahl zu euch nehmen und eine kleine Weile ruhen?«

   »Ich …«, begann der Erzähler, doch seine Worte wurden von der Menge unterbrochen:

   »Eine Geschichte! Eine Geschichte!«, riefen sie wild durcheinander und die Kinder kreischten dabei.

   »Haltet ein«, sagte der Oberste, »wir wollen doch unseren Gast nicht gleich überfallen. So muss doch auch das Fest noch vorbereitet werden.«

   Doch die Dorfbewohner waren kaum zu bändigen. Viel zu lang schon hatten sie auf die Rückkehr Malzius Dampfbarts gewartet.

   Also hob der Erzähler die Hände und gebot der Menge Einhalt. »Liebe Leute. Mertok hat recht. Ich bin eine ganze Weile unterwegs gewesen und würde mich gern etwas ausruhen.«

   Die Bewohner murrten und riefen durcheinander: »Nein! Bitte, nur eine Geschichte.«

   Malzius lächelte und fuhr fort. »Ich bin aber bereit, euch eine kurze Geschichte zu erzählen. Danach aber müsst ihr warten, bis zum Abend. Ist das ein Handel?«

   Freudig antwortete die Menge und zwei hübsche Damen brachten ihm einen Krug Wein. Ein Jüngling trug einen Stuhl heran, auf dem der Geschichtenerzähler Platz nahm.

   »Man kann lange ohne Nahrung aushalten«, sprach Malzius, »doch ohne Wein, verdurstet man.«

   Und dieser Spruch wurde bis in die späteren Zeiten übertragen, wenn auch mit einer kleinen Änderung. So wurde aus Wein Wasser, um den Alkohol nicht allzu sehr anzupreisen und zu verharmlosen. Denn so manch vermeintlich schlaue Köpfe nutzten den Ausspruch, damit sie sich hemmungslos betrinken konnten.

   Malzius nahm einen Schluck Wein zu sich, nickte anerkennend und sah dann in die Menge. Die Mienen der Menschen waren gespannt und es wurde still.

   »Habt ihr schon von der Erschaffung der Welt gehört?«, fragte der Geschichtenerzähler.

   Die Menge schüttelte die Köpfe. Nur eine leise, männliche Stimme war zu vernehmen: »Och nö, nicht die ollen Kamellen.«

   Die Frau, die genau neben jenem Mann saß, gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. Er setzte zu einer Erwiderung an, doch der grimmige Blick der Frau, welche, rein zufällig, seine Frau war, ließ ihn stumm dasitzen und den Kopf schütteln.

   »Dann will ich euch davon berichten. Ak-Duihr, die Welt, in der wir leben, wurde von den großen Alten erschaffen. Diese saßen eines Tages beisammen und fanden, dass es doch recht langweilig war, so im Nichts. Keine Sterne, keine Planeten, keine Lebewesen, außer ihnen selbst.«

   »Was sind Planeten?«, fragte ein kleiner Junge.

   Malzius lächelte. »Das sind meist Kugeln, die im Nichts schweben. Sehr große Kugeln. So groß, dass ganze Kontinente, Länder, Städte und Dörfer drauf gebaut werden können.«

   Ein Raunen ging durch die Menschen.

   »Also ist Ak-Duihr auch ein Planet?«, fragte der Junge erneut.

   »Ja, so nennt man das … später … sehr viel später … und ganz woanders«, antwortete Malzius wissend.

   »Und woher weißt du das?« Der Junge war anscheinend sehr wissbegierig.

   »Nun, ich bin weit herumgekommen. Und auch in der Zeit gereist«, antwortete Dampfbart ihm freundlich.

   Wieder raunte die Menge und so mancher Mund blieb vor Erstaunen offen.

   »Seid ihr Fische, die nach Luft schnappen?«, fragte der Erzähler. Schnell klappten die, die so erstaunt waren, dass sie ihren Mund nicht schlossen, diesen zu.

   »Wenn ihr durch die Zeit gereist seid, wie wird das Wetter morgen?«, fragte der Mann, der sich bereits eine Nackenschelle seiner Frau eingefangen hatte. Er war, wie ein Sprichwort sagt, nicht die hellste Fackel auf dem Brotlaib und so fing er sich einen erneuten Hieb ein.

   »So funktioniert das nicht«, erwiderte Malzius, »wenn man durch die Zeit reist, dann tut man das nicht für einen Tag oder eine Woche. Da liegen manchmal Äonen dazwischen.«

   Gerade setzte der Mann, wie soll man es sagen, unbelehrbar, zu einer neuen Frage an, da versetzte ihm seine Frau einen solchen Hieb, dass er ohnmächtig vom Stuhl fiel. Die Umsitzenden klatschten Beifall.

   »Nun ist Ruhe im Bottich!«, sagte sie. Später würde man Bottich mit Karton ersetzen, aber damals gab es noch keine Kartons.

   Malzius lächelte in sich hinein und fuhr mit seiner Erzählung fort: »Nekret, Gandar, Hollarim und Oberatu, so hießen die großen Alten, beschlossen also, etwas gegen ihre Langeweile zu tun. Sie erschufen den Wein, eine ihrer besten Leistungen, und ein paar Knabbergebäcke. Dann holten sie sich Feder, Papier und Tinte und begannen, mehrere Planeten zu erfinden. Je mehr Wein sie tranken, desto verwegener wurden ihre Ideen. Und eine davon war unsere Welt, Ak-Duihr.«

   Malzius ließ eine kleine Kunstpause und nahm erneut einen Schluck Wein zu sich.

   »Nachdem die Alten ihre Pläne aufgezeichnet hatten, ging es an den Bau der Welten. Sie …«

   Wieder war es der Junge, der eine Frage stellte und den Erzähler unterbrach: »Es gibt also mehrere Welten und Planeten? Kann man zu ihnen reisen?«

   »Jetzt halt doch mal den Mund!«, erscholl die Stimme eines Mannes.

   »Misch dich da nicht ein!«. Die Mutter des Jungen war aufgestanden.

   »Ach, das ist eurer, Madin, das hätte ich mir ja denken können«, erwiderte Griselda, die Frau des Mannes.

   »Was willst du damit sagen?«, fragte Madin und schob ihren Stuhl etwas zur Seite.

   »Könnt ihr bitte eure Streitigkeiten woanders austragen? Wir wollen doch der Geschichte lauschen«, meldete sich nun der Dorfoberste zu Wort, doch er wurde ignoriert.

   » Ich will damit sagen, dass euer missratenes Gör …«

   Griselda kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, denn Madin war, sehr überraschend und schnell, vorgesprungen und hatte sich auf sie gestürzt.

   Die beiden Frauen schlugen kreischend und keifend aufeinander ein, rissen sich gegenseitig an den Haaren und versuchten, sich die Augen auszukratzen.

   Die Männer der Beiden blieben still sitzen, denn sie hatten gelernt, dass alles, was sie in solchen Momenten tun konnten, eh falsch war. Also war es an den nahe dran Sitzenden, die, wie Furien auf sich einprügelnden, Frauen zu trennen. So manch einer musste sich danach ebenfalls eine Wunde behandeln lassen.

   Es dauerte mehrere Minuten, bis es endlich wieder ruhig wurde. Mertok ordnete an, dass die Familien, hier waren auch die Ehemänner gemeint, nun so weit wie möglich auseinander sitzen sollten. Sehr zum Unmut der Männer, die ihre Sitzplätze eigentlich ideal fanden, dies aber nicht öffentlich äußerten. Eine, mit Verlaub, weise Entscheidung.

   »Bitte, bitte, liebe Freunde«, sagte Malzius ruhig. »Der Wissbegier der Jugend soll Antwort gegeben werden. Ja, mein Junge, wir werden eines Tages in der Lage sein, die anderen Welten zu besuchen. Aber, zu meinem Bedaueren, wird das keiner von uns erleben. Mich ausgenommen.«

   »Doof!«, erwiderte der Junge.

   Der Erzähler zuckte mit den Schultern und trank wieder einen Schluck Wein.

   »Wie ich schon sagte, die Alten begannen, die verschiedenen Welten zu bauen. Um bei unserer zu bleiben, Gandar war da die treibende Kraft. Er erschuf das Wasser, die Ozeane, die Bäume, Gräser … kurzum alles, was Ak-Duihr zu Ak-Duihr macht.«

   »Auch die Orks?« Die Frage kam aus der Runde, aber niemand war in der Lage, den Frager ausfindig zu machen. Gerüchten zufolge soll es aber die unhelle Fackel gewesen sein, die kurz nach der Frage nicht mehr aufzufinden war.

   »Nein«, antwortete Malzius, »die Orks und alle anderen dunklen Geschöpfe, waren nicht Gandars Werk. Nur weiß sich niemand der Alten mehr zu erinnern, wer da Salz in die Suppe gespuckt hatte.«

   Er sah in die Runde und in ausnahmslos verwirrte Gesichter. »Bildlich gesprochen.«

   »Aaah«, machte die Menge.

   »Am Morgen dann, erwachten die Alten und sie waren, gelinde gesagt, von ihren Werken nicht mehr sehr angetan. Zu viel war schief gelaufen. Auf der einen Welt gab es menschenfressende Xenomorphen, auf der anderen Tore, aus denen Goa’uld auftauchen, dann wieder kleine, niedliche Wesen, die man aber nach Mitternacht nicht mehr füttern sollte und …«

   Der Erzähler holte kurz Luft und hielt inne. Die Menge sah ihn schweigend und verwirrt an.

   »Ich sehe schon, ich überfordere euch. Nun, lasst es mich einfach so sagen: Es war ein Chaos. Oberatu machte dann den Vorschlag, den, und ich zitiere hier nur, ganzen Krempel zu zerknüllen und weit in das Nichts zu werfen. Und gesagt, getan. Hier sind wir nun. Irgendwo im Nichts. Mit den vielen anderen Welten zusammen.«

   »Haha, die großen Alten müssen ganz schön betrunken gewesen sein«, meinte der Oberste.

   »Das kannst du laut sagen, Mertok«, stimmte Malzius ihm zu.

   »So ist also unsere Welt entstanden?« Wieder war es der Junge, der die Frage stellte.

   Dampfbart sah, dass Griselda und Madin bereits unruhig auf ihren Stühlen hin und her ruckten und sich giftige Blicke zuwarfen. Daher antwortete er schnell: »Ja, mein Junge. So ist Ak-Duihr entstanden.«

   Die Damen entspannten sich wieder und er wischte sich kurz über die Stirn.

   »Sag, wie ist denn dein Name, Junge?«, fragte er dann freundlich.

   »Henry. Aber man nennt mich Indy. Ich sammel alte Sachen«, antwortete dieser.

   »Ah«, erwiderte Malzius und grinste.

   Mertok stand auf und begann zu klatschen. Die Menschen stimmten mit ein.

   »Wunderbar«, sagte der Oberste dann. »Doch nun sollt ihr Essen und Ruhen. Heute Abend wird uns Malzius weitere Geschichten erzählen.«

   »Das werde ich, versprochen.«

Ende

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