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Geschichte für den Schreibwettbewerb der Autorengilde

Belegt habe ich damit den 1. Platz

Das letzte Weihnachten

 

Captain Santa befahl den kompletten Stopp der Maschinen und das Raumschiff begab sich in die Umlaufbahn um die Erde.

Santa drückte auf den Knopf der Bordsprechanlage und räusperte sich. Dann sprach er: »Verehrte Crewmitglieder und verehrte Gäste. Wir haben unser Reiseziel erreicht. Darf ich sie nun alle bitten, sich in der Versammlungshalle einzufinden.«

Dann wendete er sich an die Brückenbesatzung: »Meine Damen, meine Herren. Es war mir eine Ehre, mit ihnen gedient zu haben. Commander Flym, stellen sie bitte den Autopiloten ein und dann sehen wir uns alle in der Halle. Ich bleibe noch einen Moment hier.«

Der Commander folgte der Bitte des Weihnachtsmannes und dann ging die Besatzung zu den Speedliften.

Santa erhob sich aus seinem Kapitänssessel und seufzte. Durch die große Scheibe sah er auf den Planeten herab. In ein paar Minuten würde von ihm nur noch ein Häufchen Staub übrig bleiben.

»Computer. Negativschilde.«, sagte der Weihnachtsmann, drehte sich um und begab sich ebenfalls zu den Liften.

Nur wenige Augenblicke später hatte er Deck 12 erreicht und überprüfte noch einmal den Sitz seines Mantels. Dann trat er durch die Tür und blieb stehen.

Ein Pfiff ertönte und danach das Klacken von hunderten von aneinanderschlagenden Stiefeln. Der Weihnachtsmann schritt die Reihen der strammstehenden Besatzung entlang und ging dann auf das Rednerpult zu.

In den Reihen vor der Besatzung standen die Gästestühle, die bis auf den letzten Platz gefüllt waren.

Es herrschte atemloses Schweigen, als sich der Weihnachtsmann an das Pult stellte und aus seinem Mantel ein paar Manuskriptblätter hervorholte. Er setzte die Lesebrille auf, sah dann auf und in die Runde.

»Bitte, rühren.«, sagte er freundlich, aber bestimmt. »Und nehmen sie Platz.«

Es dauerte eine kleine Weile, bis jeder Elf einen Stuhl gefunden hatte. Doch dann wurde es wieder still und alle warteten, dass er seine Rede beginnen würde.

Santa atmete tief ein und aus, dann begann er: »Liebe Besatzung, liebe Gäste. Als ich vor 11.263.345 Jahren zum ersten Mal auf die Weihnachtsreise ging, da ahnte ich noch nicht, zu welch einem Ereignis dass werden würde. Die meisten von ihnen kennen die Geschichte ja schon und deswegen möchte ich sie auch nicht langweilen.«

»Hört, hört.«, ertönte da eine Stimme in der Stille und Santa erwiderte: »Danke, Grinch, für diesen Einwand. Ich hab dich auch lieb.«, und lachte. Und da das Lachen des Weihnachtsmannes so einladend war, lachte bald die ganze Halle.

Dann aber hob Santa die Hand, bat erneut um Ruhe und es wurde wieder still.

»Nun, heute ist der Tag, an dem ich zum letzten Mal Geschenke ausliefern werde, danach begebe ich mich in den Ruhestand. Einige von euch hatten ja schon ihren letzten Tag. So zum Beispiel der Osterhase. Meinen Respekt übrigens.« Der Weihnachtsmann legte zwei Finger an sein Herz und streckte sie dann von sich. Der Osterhase nickte dankend.

»Oder natürlich auch Sankt Nikolaus.« Auch hier folgte die gleiche Symbolik des Weihnachtsmannes. Auch Nikolaus nickte.

»Der einzige, der nach mir heute noch arbeitet, ist, und das sollte keine Überraschung sein, der Tod.«

Der Weihnachtsmann klopfte mit einer Faust auf sein Pult und die Halle antwortete mit Klatschen.

Der Tod erhob sich und schüttelte seine Sense in der Luft. Dann setzte er sich und es wurde wieder still.

»Ich möchte es natürlich auf keinen Fall versäumen, mich bei allen meinen Elfen für die jahrmillionenlange Treue und aufopfernde Hilfe bedanken. Ohne euch hätte ich das nie geschafft. Wenn man bedenkt, dass wir nur mit einer Handvoll von euch begonnen haben und jetzt … jetzt sehe ich hier vor mir die zweitausend Frauen und Männer, die bis zum Schluss an meiner Seite standen und stehen … beziehungsweise sitzen. Und natürlich auch die, die heute noch Dienst schieben. Danke, liebe Elfen.«

Wieder gab es donnernden Applaus.

»Und selbstverständlich will ich die Neun nicht vergessen, die seit Anbeginn meiner Laufbahn dabei waren.«

Das Licht ging aus und ein Spot flammte auf. Der Weihnachtsmann erhob seine Stimme: »Ladys and Gentlemen, Elfen und Freunde, einen riesen, riesengroßen Applaus für Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner, Blitzen und Rudolph!«

Ein Schott öffnete sich, die Rentiere rasten herein, erhoben sich und flogen über die Köpfe von Besatzung und Gästen hinweg. Dann stiegen sie hoch unter die Hallenkuppel, kamen zu einem Knäuel zusammen und stoben dann sternförmig auseinander. Dabei hinterließen sie eine Sternenstaubspur.

»Aaah!«, erklang es in der Halle.

Die Spur explodierte in einem Feuerwerk.

»Oooh!«, ertönte es diesmal.

Die Rentiere vollführten einen Looping, landeten vor dem Weihnachtsmann, wendeten sich zu den Versammelten um und verbeugten sich.

Ohrenbetäubender Jubel brandete auf, der minutenlang anhielt. Dann verbeugten sich die Rentiere noch einmal und ließen sich an der Seite nieder, wo extra ein strohgefülltes Gatter für sie aufgestellt worden war.

Santa erhob nun beide Hände und erneut wurde es still.

»Weggefährten, Freunde, Kollegen, liebe Gäste. Nun ist es an der Zeit für mich, Lebewohl zu sagen.« Der Weihnachtsmann nickte einem Elfen an der Seite zu und dieser eilte an eine Schalttafel. Eine Wand öffnete sich langsam und ein riesengroßer Bildschirm wurde sichtbar.

»Sie können meine letzte Reise natürlich auf dem Schirm mitverfolgen. So lange ich noch unterwegs bin zu meinen Spaceschlitten, sehen sie jetzt die schönsten Pleiten, Pech und Pannen aus 11 Millionen Jahren Weihnachtsmanngeschichte. Bis gleich.«

Der Weihnachtsmann ging aus der Halle. Als sich die Tür geschlossen hatte, hörte er gedämpftes Lachen und Gemurmel. Er selbst grinste. Ja, da waren schon ein paar Klopfer dabei, die er oder die Rentiere sich geleistet hatten. Das Jahr allerdings, wo er sturzbetrunken seine Tour angetreten hatte und alles drunter und drüber ging, die sollte nicht gezeigt werden. Das war eine strikte Anweisung.

Er begab sich zur Schlittenstartbasis und betrat die Abflugrampe. Ein Elf eilte herbei und nahm ihm den Mantel ab. Dann reichte er ihm den Helm.

»Ist alles klar, Patch?«, fragte Santa.

»Jawohl! Dein Spaceschlitten ist startklar.«, antwortete der Elf.

»Sehr schön.« Der Weihnachtsmann reichte Patch die Hand. »Danke für alles, mein Freund.«

Der Elf schüttelte verwirrt die Hand des Weihnachtsmannes. »Aber Santa.«, sagte er. »Wir sehen uns doch, wenn du wiederkommst. Bei der Party.«

Der Weihnachtsmann lächelte ihn an. »Ja, natürlich, du hast recht.«, sagte er sanft. Dann bestieg er den Schlittengleiter.

Der Elf eilte in den Kontrollraum und das Visier des Schlittens schloss sich langsam. Santa startete den Antrieb. Der Raumer erhob sich und schwebte in der Luft.

Dann öffnete sich das Schott vor ihm und fuhr nach unten. Die Luft im Hangar entwich schlagartig.

»Ready for Takeoff.«, sprach Santa in die Sprechanlage.

»Bereit, wenn du es bist. Guten Flug.«, erwiderte der Elf.

Santa lächelte und dann flog der Schlitten langsam aus dem Hangar in das All. Der Weihnachtsmann schaltete den Bildschirm an und bekam so noch den letzten Rest des Pausenprogramms mit.

»Isch gann fahreen. Las mich, isch bin nisch bedrungen.«, hörte er sich sagen.

Diese Elfen. Er hatte es doch ausdrücklich verboten. Santa seufzte. Er konnte sich schon denken, wie es gerade jetzt in der Halle zugehen musste. Am lautesten würde der Grinch lachen. Na, sollten sie.

Ein rotes Lämpchen leuchtete auf. Santa war auf Sendung. Ab jetzt würde man ihn in der Halle auf dem großen Bildschirm sehen und hören können. Und natürlich auch auf den kleineren, die die Elfen nutzten, die noch arbeiteten.

»Hallo, liebe Freunde. Ich melde mich jetzt aus der Pilotenkanzel. Gleich vorweg: Elfen! Ich hatte euch doch verboten, dass zu zeigen. Ihr Saulumpen.« Aber er grinste dabei und ließ ein paar Sekunden vergehen, denn er war sicher, dass auch jetzt wieder gelacht wurde.

»Ich bin auf direktem Kurs zur Erde und werde in genau 8.345 Sekunden in die Atmosphäre eintreten. Das wird einen Moment etwas ruckeln.«

Und genau 8.345 Sekunden später brach die Verbindung tatsächlich ab. Aber das dauerte nur wenige Momente und so meldete sich der Weihnachtsmann zurück: »So, das wäre geschafft. Wir gleiten jetzt sozusagen wie auf Butter dahin und da ist auch schon unser Ziel.«

Die Ansicht schaltete jetzt zu den Außenkameras des Schlittens um. Ein Kuppelgebäude wurde sichtbar. »Panterum. Die letzte Kolonie der Menschen auf der Erde. Und mein letztes Geschenk. Fertig machen zur Landung.«

Jetzt wurde es unruhig in der Halle. Eine Landung war gar nicht vorgesehen. Was hatte Santa vor?

Über die Sprechanlage meldete sich Patch: »Santa? Was machst du? Eine Landung haben wir nicht eingeplant. Du weißt, dass die Erde in wenigen Minuten explodieren wird.«

»Es ist alles in Ordnung, Patch. Ich weiß, was ich tue.«, antwortete der Weihnachtsmann ruhig und schaltete die Flugautomatik ab.

Erneut erklang die Stimme von Patch: »Santa! Nicht die automatische Steuerung abschalten. Es dauert zu lange, wenn du im manuellen Modus landest und wieder startest.«

»Ich werde nicht wieder starten, Patch.«, antwortete Santa ruhig.

Der Elf sagte nichts. Die Aussage des Weihnachtsmannes hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen.

Sanft ließ der Weihnachtsmann den Spaceschlitten auf einem kleinen Platz vor der Kuppel landen und stelle den Antrieb aus. Dann setzte er den Helm ab und blickte in die Kamera.

»Liebe Freunde. Als die Menschen vor einem Jahr den Planeten Erde angesichts seiner bevorstehenden Vernichtung verlassen haben, da gab es diese kleine Kolonie. Und, wie ihr seht, gibt es sie immer noch. In ihr befinden sich nur noch eine Handvoll der letzten Menschen auf der Erde. Alte und Totkranke Menschen, denen auch die Medizin des Elfmillionsten Jahres nicht helfen kann. Sie wollten sich nicht mehr den Strapazen einer Flucht aussetzen und haben nur noch einen, letzten Wunsch: Noch einmal das Weihnachtsfest zu feiern. Und den erfülle ich ihnen.«

»Santa!«, brüllte Patch in die Sprechanlage, doch der Weihnachtsmann schaltete sie ab und auf die Außenkameras um.

Nach einigen Augenblicken konnte man sehen, wie Santa ins Bild kam. Er stand vor dem Schlitten und drehte sich noch einmal um. Er winkte.

Dann schritt er auf die Kuppelstadt zu. Zwei Kinder kamen heraus und liefen auf ihn zu. Er umarmte sie und ging dann mit den beiden hinein.

Die Halle war ruhig. Kein Laut war zu hören und niemand bewegte sich. Alle starrten auf den Bildschirm.

»Stille Nacht.«, erklang plötzlich ein leises, weinerliches Stimmchen.

»Heilige Nacht.«, antwortete ein anderes.

»Alles schläft.«

»Einsam wacht.«

Und mehr und mehr stimmten in den Gesang der beiden Elfen ein und bald ertönte es laut und vielstimmig.

»Nur das traute, hochheilige Paar. Holder Knabe mit lockigem Haar. Schlaf in seeliger Ruh.«

Auf dem Schirm wurde es hell. Der Planet Erde zog sich zusammen und zerbarst dann, ohne Geräusch, in milliardste Teilchen.

»Schlaf in himmlischer Ruh.«

Ende

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