Die Legenden von TargAnor
Aus dem Buch 1
Vorab eine kleine Warnung an alle, die diese Geschichte als Hörbuch hören: Sollten Sie ein Besitzer dieser neumodischen Maschinen sein, die auf einen Namen reagieren und Befehle ausführen, zum Beispiel das Licht einschalten oder Musik spielen, dann wundern Sie sich nicht, wenn diese Apparaturen im späteren Verlauf dieser Erzählung urplötzlich Nachfragen stellen. Sagen Sie dann einfach: »Halt die Klappe« oder so.
Sollten Sie Leser der Geschichte sein, dann haben Sie, sofern Sie sich diese nicht selbst laut vorlesen, mit keinen Einwänden oder Nachfragen zu rechnen.
Dies wurde beim Schreiben und Einsprechen für Sie getestet. Daher weiß ich, wovon ich rede.
Und ja, ich hätte einer gewissen Figur einen anderen Namen geben können, aber es hat schon seinen Grund, warum er so und nicht anders heißt.
Nun aber zu unserer Geschichte:
Verehrte Leser, verehrte Zuhörer. Unsere heutige Geschichte trug sich einst zu in den Koboldlanden. Und zwar in der Koboldbank Lassadar, Hauptniederlassung Brozzniqom. Die Bank war die einzige auf dem Kontinent Nasin. Wenn sie ihr Geld dort anlegten, dann konnten sie davon ausgehen, dass es auch absolut sicher war.
Noch nie in der tausendjährigen Geschichte der Bank, war es zu einem Überfall gekommen. Natürlich war das Konto bei regelmäßigem Silber- oder Goldeingang kostenlos.
Mit dem extra für sie ausgestellten Bankpapyrus, hatten sie jederzeit Zugriff auf ihr Geld, auch in den in den Koboldlanden verteilten Zweigstellen.
Und das war leider auch der Nachteil der Bank. Reisten sie, zum Beispiel, von Qrevrim, einer Zweigstelle der Koboldlande, nach Eindorn im Vierinselreich, dann nutzte ihnen der Papyrus genau nichts.
Aber ihr Geld war sicher, das war ja immerhin etwas. Und am Koboldlandspartag bekam man als Kunde dieser Bank auch noch das ein oder andere kleine Geschenk, wie zum Beispiel ein kleines Porzelanschwein für die Kinder, in dem diese ihre Ersparnisse sammeln konnten, bis sie alt genug waren, selbst Kunden der Bank zu werden.
Im Inneren der Hauptniederlassung herrschte an diesem Tag reges Treiben.
Wrink, Unterangestellter zweiten Grades, rannte mit einem Berg von Akten vor seinem Gesicht durch die Gänge des unterirdischen Safegewölbes. Er wollte seinen Weg abkürzen, denn Oberangestellter Urduk wartete dringend auf die Schriftstücke. Daher hatte er den unterirdischen Gang gewählt. Oben herrschte zu viel Betrieb, um schnell genug voranzukommen.
Die gleiche Idee, nur von der anderen Seite her kommend, hatte auch Gelka, Unterangestellter dritten Grades. Er aber hatte den Auftrag, Schriftstücke zurück in das Safegewölbe zu bringen.
Nun kann man sich vorstellen, was passieren könnte, wenn zwei Kobolde, durch Aktenberge vor den Augen in ihrer Sicht behindert, aufeinander zu laufen.
Ja, und was Sie sich gerade vorgestellt haben, verehrte Leser oder Zuhörer, das trat auch ein: Genau in der Mitte der beiden Strecken begegneten sich die Kobolde und prallten aufeinander.
Das führte dazu, dass sich Akten und Schriftstücke durch die Wucht des Aufpralls verselbstständigten und wild durch den Gang flatterten.
Wrink und Gelka saßen dabei auf dem Hosenboden und schauten sich verwirrt an.
»Haben Sie keine Augen im Kopf, Unterangestellter Gelka?«, fragte Wrink.
»Das gleiche möchte ich Sie fragen, Unterangestellter Wrink«, antwortete Gelka.
»Ich habe Sie nicht gesehen, ich hatte einen Berg Akten vor dem Gesicht. Haben Sie das nicht bemerkt?«
»Das muss ich verneinen, da auch ich einen Aktenberg vor mir hertrug.«
»Eine unangenehme Situation.«
»Da haben Sie Recht,Unterangestellter Wrink.«
Dann besahen sich die beiden Kobolde das Chaos.
»Es wird Stunden dauern, bis wir Ordnung in unsere Papiere gebracht haben«, stellte Wrink fest.
»Da stimme ich ihnen zu. Leider«, erwiderte Gelka. »Und ich bin sicher, dass Oberangestellter Ordok nicht sehr erfreut über die Verspätung sein wird.«
»Auch Oberangestellter Urduk wird keinen Freudentanz aufführen, ob der eingetretenen Situation.«
Die Kobolde standen auf und klopften sich den Staub von Hosen und Hemden. Dann beratschlagten sie, was zu tun sei:
»Was tun wir nun also?«, fragte Gelka. »Sie sind Unterangestellter zweiten Grades, daher müssen Sie eine Entscheidung treffen.«
Wrink sah überrascht sein Gegenüber an, fing sich aber schnell wieder und sagte: »Ich muss meine Stellung nicht vorschieben. Sie können ruhig einen Vorschlag machen.«
»Das ist außerordentlich großzügig von ihnen, aber das würde ich mir nie anmaßen«, entgegnete Gelka.
»Wir sind doch unter uns.«
»Auch dann nicht.«
»Unterbeamter dritten Grades Gelka. Ich fordere Sie dienstlich auf, einen Vorschlag zu machen!« Wrink war nun autoritär geworden.
»Laut Dienstanweisung 15b, Absatz 3 ist es einem untergebenen Dienstgrad nicht erlaubt, Vorschläge an einen höheren Dienstgrad zu richten. Sie kennen doch die Anweisung?«
»Natürlich kenne ich diese«, zischte Wrink. »Aber in Zusatz 1 zur Dienstanweisung 15b, Absatz 3, heißt es, dass in besonderen Situationen und der Erlaubnis des höheren Dienstgrades Vorschläge zu machen sind, wenn der höhere Dienstgrad dazu auffordert. Und dies ist eine besondere Situation, oder nicht?«
Gelka musste, ob er wollte oder nicht, der Frage zustimmen. Also nickte er und sagte zerknirscht: »Ja.«
»Genau, und ich fordere Sie hiermit dienstlich auf, einen Vorschlag zu machen.«
Wrink sah Gelka herausfordernd an.
»Tja«, sagte er dann und überlegte.
»Na? Wird es bald?«, fragte Wrink.
»Bitte, hetzen Sie mich nicht. In den Dienstanweisungen ist nicht vermerkt, wie schnell ich einen Vorschlag machen muss oder wie lange ich nachdenken darf.«
Wrink trat zwei Schritte vor und die Kobolde standen nun Nase an Nase voreinander.
»Das ist doch kein Spiel. Wir sind beide in ernsten Schwierigkeiten«, knurrte Wrink. »Sie sogar noch mehr, da Sie im Rang noch unter mir stehen, Gelka!«
»Sie müssen mir nicht immer ihren Rang vor die Nase halten. Ich bin nur noch wenige Monde von einer Beförderung entfernt, dann bin ich ebenfalls ein Unterangestellter zweiten Grades«, verteidigte sich Gelka.
»Aber noch sind Sie es nicht!«, konterte Wrink. »Und Sie werden es auch nicht werden, wenn Sie mir nicht bald einen Vorschlag machen!«
In Gelka entspann sich der Gedanke, den Unterangestellten zweiten Grades einfach an Ort und Stelle totzuschlagen und es wie einen Unfall aussehen zu lassen.
»Und kommen Sie nicht auf dumme Gedanken!«, tadelte ihn Wrink.
Gelka überlegte, oder der andere Kobold etwa seine Gedanken gelesen hatte. Eine äußerst seltene Gabe, die in den letzten zweitausend Jahren nur ein einziges Mal bei einem Kobold vorkam. Und dieser war damals bei einem Unfall mit Magie in Berührung gekommen.
Es konnte aber auch daran liegen, dass er eine großen, schweren Stein erhoben hatte und mit diesem auf Wrinks Schädel zielte. Daher ließ er ihn wieder fallen und versuchte, sich eine mögliche Lösung einfallen zu lassen.
»Wie wäre es, Unterangestellter Wrink, wenn wir die Akten und Papiere verbrennen und sagen, ein Drache wäre es gewesen?«
Wrink blinzelte und sah Gelka mitleidig an. Der Aufprall musste bei ihm einen Zustand der Verdummung ausgelöst haben. »Ist das Ihr Ernst?«, fragte er dann.
»Natürlich nicht«, entgegnete Gelka, obwohl er seinen Plan für gar nicht so schlecht hielt. »Es war ein Scherz. Aber da ich nun einen Vorschlag gemacht habe, ist es nun wieder an ihnen, eine Entscheidung zu treffen.« Dabei hielt er sich innerlich für ein Genie.
Wrink ging im Geiste alle Dienstanweisungen durch, aber leider hatte der andere Kobold recht. Er war es, der sich eine Lösung einfallen lassen musste. Da biss keine Ratte einen Käse ab.
»Hm. Tja. Hm. Ähm. Hm … hm.« Wrink überlegte und überlegte.
»Darf ich einen Vorschlag machen?«, meldete sich nun eine alte und gebrechliche Stimme zu Wort.
Die beiden Kobolde erstarrten in Ehrfurcht, denn unbemerkt hatte sich ihnen eines der fünf Mitglieder der Wirtschaftsgreisen genähert.
Sie verbeugten sich ehrfurchtsvoll und sagten gleichzeitig: »Ja.«
»Nun«, begann der Wirtschaftsgreis, »ich danke den beiden Herren sehr für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Ich habe erkannt, in welchem Schlamassel die beiden Herren stecken und habe ihnen eine Lösung anzubieten, mit der Sie sicher einverstanden sind.«
»Dann mal raus mit der Sprache, Alter«, erwiderte der Unterangestellte dritten Grades.
»Haben Sie vergessen, mit wem Sie sprechen?«, fuhr der Unterangestellte zweiten Grades ihn an. »Sie können doch nicht so mit einem Wirtschaftsgreis reden!«
Gelka zuckte zusammen. Dann fiel er auf die Knie und verbeugte sich tief. »Oh hoher Grok, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bitte tausendmal um eure Vergebung.«
»Du verbeugst dich vor diesem alten Tatterich? Du Memme?«, fragte Wrink und im gleichen Augenblick fiel auch er auf die Knie.
»Oh hoher Grok, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bitte tausendmal um eure Vergebung.«
Der Wirtschaftsgreis sah die beiden Kobolde an und nickte ihnen zu. »Ich fürchte, dass ist mein Fehler«, sagte er. »Das ist unsere Aura. Die fördert das Böse ihn ihnen und bringt es zum Ausbruch. Zum Glück nur in kleinen, homöopathischen Dosen. Das ist ja auch der Grund, dass niemand mit uns allen Fünf gleichzeitig sprechen kann. Es wäre der Untergang der Koboldwelt.«
»Das ist mir völlig neu«, bemerkte Wrink und fragte Gelka: »Oder wussten Sie davon?«
»Nein, das habe ich noch nie gehört«, antwortete dieser wahrheitsgemäß.
»Das tratscht man auch nicht so herum«, erklärte Grok den Koboldangestellten. »Stellen Sie sich nur einmal vor, jemand würde die kriminelle Energie aufbringen, den gesamten Rat der Wirtschaftsgreise an einem Fleck zusammenzubringen. Das Böse wäre nicht mehr aufzuhalten und die Koboldwelt würde zerbrechen wie ein vertrockneter Mürbekuchen.«
»So gefährlich sind sie?«, fragte Gelka, der leicht zitterte.
»Hmpf«, erwiderte der Koboldsgreis und brach urplötzlich in schallendes Gelächer aus. »Hahaha. Meine Herren. Es war nur ein Scherz. Ich habe Sie auf den Arm genommen. Sie hätten ihre Gesichter sehen sollen.«
»Sehr witzig«, erwiderte Wrink, der gequält den Mund zu einem schiefen Lächeln verzog.
»Vielleicht haben der Herr Greis schon einmal darüber nachgedacht, ein Spaßmacher oder Narr zu werden?«, fragte Gelka Grok.
Dieser sah den Unterangestellten dritten Grades verwirrt an. »Nein, eigentlich nicht«, antwortete er dann.
»Eine gute Entscheidung«, erwiderte Gelka.
»Wie meinen Sie das?«
»Die Welt hätte einen beachtlichen Wirtschaftsgreis verloren«, schmeichelte der Unterangestelle dritten Grades und flüsterte Wrink zu: »Und einen schlechten Narr bekommen.«
Der Unterangestellte zweiten Grades prustete, fing sich aber schnell wieder. »Wie lautet denn euer Vorschlag, hoher Grok?«
»Nun, niemand hat doch bemerkt, was passiert ist, nicht wahr?«
Die beiden Koboldsangestellten überlegten. »Nein, das stimmt.«
»Dann greifen Sie sich einfach alle Papiere, die Sie in die Hand bekommen und tragen Sie zu ihren Vorgesetzten. Ich bin sicher, dass es niemandem auffallen wird.«
»Und wenn doch?«, fragte Gelka zaghaft nach.
»Junger Freund«, erwiderte Grok. »Ich bin seit hunderten von Jahren Wirtschaftsgreis. Noch nie, in der langen Geschichte Lassadars, hat sich hier irgendwer um irgendwelche Papiere gekümmert.«
Verwirrt sah Wrink ihn an. »Aber … wir bearbeiten doch täglich Ein- und Ausgänge von Geldmitteln. Und stempeln und unterschreiben und füllen aus und heften ab und …«
Der Greis unterbrach ihn sanft: »Und was stempeln, unterschreiben, füllen sie aus und heften sie ab?«
Die beiden Unterangestellten sahen sich verwirrt an. Sie begannen zu überlegen.
»Ich nehme an …«, setzte Wrink zu einer Erklärung an, doch auch diesmal unterbrach ihn Grok.
»Aha … Sie nehmen an! Aber Sie wissen es nicht, oder?«, fragte er.
»Naja, so genau …«, zauderte Wrink.
Und Gelka ergänzte: »Nicht.«
»Vertrauen Sie mir einfach. Von mir erfährt niemand ein Sterbenswörtchen. Ich werde zwei jungen, aufstrebenden Unterangestellten doch nicht ihren Weg zum Erfolg und Aufstieg verbauen.«
Nun erhellten sich die Mienen der beiden Kobolde und sie begannen in Windeseile, Akten und Papiere einzusammeln. Grok half ihnen dabei und steckte beiden jeweils ein Pergament zu.
»Ach, ich wünschte, ich hätte noch ihre Jugend. Aber ich bin leider schon erschöpft nur von einem Pergament.« Und mit diesen Worten stellte er die angedeutete Hilfe bereits wieder ein.
Dann bedankten sie sich bei Grok, wünschten sich gegenseitig noch einen schönen Tag und eilten in entgegengesetzte Richtungen davon.
Grok sah beiden nach, dann drehte er sich um und fasste in eine kleine Vertiefung in der Wand. Es rumpelte, die Steinmauer teilte sich und gab den Weg in die Unterwelt der Koboldlande frei.
Der Greis trat hindurch. Sofort schlossen sich die schweren Steinquader hinter ihm und das Licht, was von den Laternen im Safegewölbe hereinschien, erlosch und tauchte Grok in völlige Dunkelheit.
Trotzdem schritt er zielsicher durch die Gänge der Felsenhöhle, bis vor ihm ein leichtes, blaues Flackern erschien und auf ihn zukam.
Der Greis griff in seine Tasche und holte einen kleinen, röhrenförmigen Gegenstand hervor, den er dem Flackern entgegenhielt.
Blitzschnell zog sich das blaue Leuchten zurück und es wurde wieder dunkel. Erneut griff Grok in die Tasche und holte ein kleines Gestell mit geschwärzten Gläsern hervor, dass er sich auf die Nase setzte.
Und dann wurde es schlagartig hell. Es war, als wenn eine kleine Sonne mitten vor dem Greis explodiert wäre. Nur die Hitze fehlte.
Die Höhle erstrahlte in einer gleißenden Helligkeit, die jeden, der nicht so ein Gestell getragen und damit seine Augen geschützt hätte, sofort hätte erblinden lassen.
»Brexa, dunkler!«, rief Grok und das Licht sank auf ein erträgliches Maß herab, so dass er das Gestell wieder abnehmen konnte.
Aus einer Ecke der Höhle wieselte ein grässlich entstellter Kobold heran, der gebückt auf ihn zukam. Auf seinem Rücken wucherte ein pulsierendes Geschwür.
»Meister«, sagte der Kobold unterwürfig und höchst erfreut, »Ihr seid zurück.«
»Das bin ich.«
»Seid Ihr erfolgreich gewesen?«, fragte Brexa nach.
»Wir werden sehen. Die Saat wäre gelegt. Bring mit das Reinigungswasser.«
»Ja, Meister. Ich eile.« Und mit diesen Worten verschwand der entstellte Kobold, tauchte aber bald mit einer tönernen Schüssel und einem Krug Wasser wieder auf. Schnell stellte er sie auf einen Tisch in der Ecke und füllte das Wasser in die Schüssel.
Dann öffnete er eine kleine Ampulle und goss ein paar wenige Tropfen einer übelriechenden Substanz hinzu. Dem Kobold begannen die Augen zu tränen.
»Bitte, Meister. Ihr könnt die Reinigung vornehmen«, sagte er dann und zog einen Stuhl heran, auf dem der Greis Platz nahm.
Ehrfurchtsvoll trat Brexa einen Schritt zurück und sah zu, wie Grok seinen Kopf in die Schüssel tauchte. Es zischte und das Wasser begann zu brodeln.
Dann lösten sich die Haare vom Kopf des Wirtschaftsgreises und in der Schüssel sammelten sich gräuliche Hautfetzen.
Als der Greis schließlich seinen Kopf wieder aus der Schüssel hob, war Grok verschwunden und war dem Gesicht eines grünlichen Kobolds gewichen.
»Meister«, winselte Brexa, »ich bin froh, dass Ihr endlich die garstige Fratze dieses Greises abgelegt habt. Euch steht sein Ansehen nicht, hoher Grax!«
»Ja, auch bin froh. Ich wünschte, es würde eine andere Möglichkeit geben, aber es ist, wie es ist«, antwortete der Kobold seinem Diener mit einer nun gänzlich anderen Stimme.
»Wie geht es unserem Gast? Ist er wohlauf?«
Brexa hatte ein großes Tuch geholt und hielt es seinem Meister entgegen. Dieses ergriff es und trocknete sich ab.
»Dem Gast des Meisters geht es gut, aber er ist unzufrieden mit seiner Behausung«, erstattete Brexa Bericht.
»Das war zu erwarten.«
»Auch beschwert er sich über die Verpflegung, seine Bettstatt ist im zu hart, ihm fröstelt und er wünscht sich Feder, Tinte und Pergament, um den Jahresbericht der Wirtschaftsgreise zu beginnen«, fuhr Brexa in seinem Bericht fort.
»Der gute, alte Grok. Immer dienstbeflissen. Ein echter Arbeitssüchtiger. Auch in Gefangenschaft.«
»Ich glaube, Meister, ihm ist gar nicht bewusst, dass er sich in solcher befindet.«
»Das war auch meine Absicht, Brexa. Bring ihm seine Feder, die Tinte und das Pergament. Ich werde nun beobachten, was mein kleines Geschenk an die Oberangestellten ausrichten wird.«
»Ich verstehe, Meister. Ich werde tun, was Ihr mir aufgetragen habt.«
Brexa verneigte sich mehrere Male und ging dabei rückwärts. Dann drehte er sich um und eilte davon.
Grax aber ging in eine kleine Kammer. Dort stand ein hoher Lehnstuhl, auf dem er Platz nahm. An der Wand hing ein großer, schwerer Vorhang aus Wildschweinleder, der nun zur Seite schwang und den Blick auf eine ganze Reihe matter Spiegel freigab.
Er vollführte ein paar Handbewegungen und zwei der Spiegel begannen zu flimmern.
Als sich das Bild in ihnen schließlich verfestigte, erkannte man die Arbeitszimmer der Oberbeamten Urduk und Ordok.
Dann sagte er leise, mehr zu sich selbst: »Wen sehen wir uns als Erstes an?«
Er griff in seine Tasche und holte eine Münze hervor. Er betrachtete sie von beiden Seiten, wies dann der Zahl Urduk zu und der anderen Ordok. Alsdann warf er sie in die Luft und sie landete … auf der Zahlenseite.
Also holte er den Spiegel des Oberangestellen Urduk nach vorn und schaltete den anderen mittels eines kleinen Knopfes in den Erinnerungsmodus. Zum späteren Ansehen.
Grax ließ sich zurücksinken, griff nach einer Tasse, die neben dem Sessel auf einem kleinen Tisch stand und hob sie an die Lippen.
Soeben betrat der Unterangestellte zweiten Grades, Wrink, die Stube von Urduk.
»Herr Oberangestellter, ich bin zurück und habe die Akten, wie befohlen, mitgebracht.«
Urduk sah kurz auf und sagte: »Schön, schön.« Dann überlegte er. Weshalb hatte er die Papiere und Akten angefordert? Es war ihm doch glatt entfallen.
»Was soll ich damit machen?«, fragte Wrink, der zwar versuchte, seinen Vorgesetzten anzusehen, es aber schließlich aufgab.
»Öhm«, entgegnete Urduk und überlegte erneut. Dann sagte er: »Legen Sie sie doch bitte erst einmal in Ihrer Amtsstube ab, Wrink. Sie haben doch dort noch Platz, oder?«
Der Unterangestellte war im Begriff zu nicken, doch dabei wackelte sein Aktenstapel und neigte sich gefährlich nach vorn. Schnell stellte er das Nicken ein und balancierte die Schriftstücke wieder aus, bis sie die Vorwärtsbewegung eingestellt hatten.
»Wie Herr Oberangestellter Urduk wünschen«, entgegnete er und steuerte auf die Tür zu, um zu seiner Amtsstube zu gelangen.
Grax sah missmutig auf den Spiegel. »Hm, dass passt mir aber gar nicht«, sprach er mit sich selbst. Schließlich war sein kleines Mitbringsel, welches er den beiden Unterangestellten zugesteckt hatte, nicht für sie, sondern die Oberangestellen vorgesehen.
Er beschloss, erst einmal weiterzuverfolgen, was bei Wrink und Urduk geschah, bevor er sich etwas Neues überlegen musste.
Wrink hatte mittlerweile seine Stube erreicht und trat mitsamt den Akten ein. Er versuchte, einen Platz zu finden, um den Berg an Papieren unterzubringen. Aber es war ein beinahe unmögliches Unterfangen.
Links stapelten sich Akten und Papiere, rechts stapelten sich Akten und Papiere und in der Mitte stand sein kleiner Schreibtisch. Auch dort war keine Ablagefläche mehr möglich, außer, er schrieb ab sofort ohne Schreibtisch.
»Papamuk!«, rief er aus. Ein bei Kobolden recht bekanntes Schimpfwort, welches sich in der Allgemeinsprache als »So eine Aborthinterlassenschaft!« übersetzen ließ.
In der Zukunft wäre man nicht mehr so zimperlich und würde es beim Namen nennen.
Wrink erinnerte sich an die Worte des Wirtschaftsgreises: »Noch nie, in der langen Geschichte Lassadars, hat sich hier irgendwer um irgendwelche Papiere gekümmert.«
Er beschloss, die Aussage auf die Probe zu stellen, doch da hörte er den Ruf Urduks: »Wrink! Kommen Sie mit den Papieren wieder her!«
»Jawohl, Herr Oberangestellter«, gab Wrink zur Antwort und balancierte den Aktenstapel wieder zurück in die weitaus geräumigere Amtsstube des Oberangestellen.
»Sie haben gerufen?«, fragte Wrink und hoffte, in der richtigen Position zu stehen, denn sehen konnte er den Oberangestellen nicht.
»Ja, mir ist wieder eingefallen, warum ich die Akten benötige. Legen Sie sie bitte dort auf den Stapel.«
Wrink war verwirrt. »Wo bitte?«
»Na da, ich zeige ihnen die Stelle doch gerade.«
»Verzeihung, Herr Oberangestellter, aber ich sehe es nicht.«
»Links von ihnen.«
Wrink drehte sich nach links.
»Nein, zu viel, wieder nach rechts.«
Wrink drehte sich wieder nach rechts.
»Noch ein bisschen. Noch … ja … halt. Genau so. Nun gerade aus und voran … aber langsam«, gab ihm Urduk Anweisungen. »Noch zwei Schritte. Jawohl. Perfekt. Nun bitte ablegen.«
Der Unterangestellte versuchte, die Akten langsam zu Boden gleiten zu lassen, doch die Schwerkraft und seine mittlerweile geschwächten Arme, machten ihm einen Strich durch die Rechnung.
Mit einem lauten »Rumms!«, landeten die Akten und Papiere auf dem Boden. Wieder neigten sie sich gefährlich, doch mittels geschicktem Hin und Her und Gewichtsverteilung schaffte es Wrink, den Stapel im Gleichgewicht zu halten.
»Danke, Unterangestellter zweiten Grades Wrink, das wäre dann alles.«
Wrink verbeugte sich und verließ das Amtszimmer.
Weder dem Unter- noch dem Oberbeamten war aufgefallen, dass sich ein Pergament aus dem Aktenstapel gelöst hatte und zu Boden gefallen war. Und nun faltete sich dieses Schriftstück selbst zusammen, bildete ein kleines Männchen, sprang vor und versteckte sich im Amtszimmer Urduks.
Befriedigt sah Grax auf den Spiegel und lächelte. »Es läuft alles nach Plan«, sagte er und mit einer Handbewegung erstarrte das Bild Urduks, der Spiegel flog zurück und der Zweite kam herangeschwebt.
Grax sah den Oberangestellten Ordok mit geschlossenen Augen und vor dem Bauch ineinander verschränkten Händen auf seinem Stuhl sitzen. Mehr geschah nicht.
Der Kobold stand auf und gab dem Spiegel einen kleinen Klaps an die Seite. Das Bild zuckte kurz, aber es änderte sich nichts.
Hatte er aus Versehen ein Standbild eingeschaltet? Er überprüfte seine Handbewegung. Nein, die Magie war richtig. Dann sah er eine kleine Bewegung. Eine Mirkfliege kam herein, setzte sich kurz auf den Bauch Ordoks und flog wieder davon.
Grax stellte fest, dass der Oberangestellte tatsächlich ein Nickerchen hielt.
»Skandalös«, murmelte der Kobold. »Kein Wunder, dass es in dieser Bank drunter und drüber geht.«
Er beschloss, mittels einer weiteren Handbewegung, den Schnellvorlauf auszulösen. Das wäre bei einer Live Übertragung nicht möglich gewesen.
Also technisch schon, wenn man die Zeitreisemagie nutzen würde, doch dieses Verfahren war außerordentlich kompliziert und würde in diesem Fall auch bedeuten, dass man mit koboldschen Riesenbumsern auf Mirkfliegen schießen würde.
Wenn Sie, liebe Leser und Zuhörer, weitere Informationen über Riesenbumser und Mirkfliegen suchen, schauen Sie am besten in die Lexikopedia TargAnoria, da können Sie alles nachlesen.
Der Spiegel spulte nun vor, was man an einer kleinen Zahl, die sich stetig veränderte, nachprüfen konnte. Aber weiterhin tat sich nichts. Ordok saß, wie gemalt, auf seinem Stuhl und döste.
Doch urplötzlich schreckte der Oberangestellte hoch und begann hastig, sich in eine sitzende Position zu begeben und wie ein Wilder Papiere in die Hand zu nehmen und zu durchsuchen. Das tat er in einer irrsinnigen Geschwindigkeit.
Und jetzt kam auch noch der Unterangestellte dritten Grades in das Amtszimmer gerannt und die beiden Bankkobolde gestikulierten wie Verrückte herum.
Ungläubig sah Grax in den Spiegel und wunderte sich über die, im allgemeinen unübliche, hektische Aktivität, bis es ihm klar wurde, dass er vergessen hatte, den Vorlauf auszuschalten.
Er zog die Augenbrauen hoch und gab dem Spiegel mit einer Handbewegung die Anweisung, auf Realgeschwindigkeit umzuschalten.
Nun sah das Ganze schon anders aus.
»Brexa! Lauter!«, rief Grax.
Und schon kam der missgestaltete Kobold herbei gerannt und drückte auf einen versteckten Knopf am Spiegel. »Wie Meister befehlen«, schleimte er und setzte sich mitten auf den Boden.
Nun verfolgten die beiden, was auf dem Spiegel vor sich ging:
»Und wie ich Ihnen eben schon sagte, ist es für einen Unterangestellten dritten Grades enorm wichtig, Anweisungen, die ihm gegeben werden, zur vollsten Zufriedenheit zu erledigen«, hörte man die Stimme von Ordok.
»Wenn die Papiere, die Sie in das Safegewölbe bringen sollten, jemanden in die Hände fallen, der sie nicht sehen sollte … Urduk zum Beispiel …«
Gelka riss erschrocken die Augen auf und er schluckte.
»Dann könnte das unangenehme Folgen haben, verstehen Sie?«
Der Unterangestellte nickte schnell und mehrmals. »Ich … verstehe, Oberangestellter Ordok«, antwortete er. Der Schweiß war ihm auf die Stirn getreten.
Grax war der Einzige, der bemerkte, dass sich aus der Hosentasche von Gelka ein kleines Pergamentmännchen hervorschob, sich unmerklich zu Boden gleiten ließ und unter einem kleinen Schrank verschwand.
Er lächelte und schaltete den Spiegel ab. Dann flüsterte er: »Ja, die Saat wäre gelegt.«
Und laut sagte er: »Brexa! Spiel eine Fanfare!«
Der Angesprochene sprang auf, flitzte zu einem kleinen Kästchen, öffnete dieses und holte eine Tröte daraus hervor. Er setzte sie an die Lippen und blies hinein.
Es klang schief und schauerlich, aber Grax schloss die Augen und freute sich. Und dann begann er zu lachen. Laut und schrill.
»Brexa! Lauter!«, befahl er und der Kobold tanzte mit der Tröte an den Lippen durch die Höhle und blies, was das Zeug hielt, während Grax sich in einen wahren Lachanfall hineinsteigerte.
Ende