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Die Legenden von TargAnor

Aus dem Buch 1

Das Ding mit dem Ork

 

Nugella, die Zwergin, bereitete gerade das Frühstück vor, als sie lautes Poltern aus der Schlafkammer vernahm. Sie seufzte und sah nur kurz auf, bevor sie die Nomeneier, die sie in der Hand hielt, schwungvoll in die Pfanne warf.

   Kurz darauf öffnete sich knarrend die Tür zur Küche und Gramir, ihr Gatte, kam hereingeschlurft.

   »Guten Morgen, Schnauzibärchen«, säuselte er und schwankte, vom gestrigen Gelage noch schwer gezeichnet, auf seinen Stuhl am Esstisch zu. Er ließ sich schnaufend darauf nieder und grinste sie an.

   Nugella versuchte, ihren Mann nicht zu beachten, und wendete die Eier in der Pfanne.

   »Was gibt es denn leckeres zum Frühstück? Nomeneier?«, fragte der Zwerg und griff nach einem Humpen, der auf dem Tisch stand. Er nahm, ohne hinzusehen, einen tiefen Schluck und spuckte sofort danach den Inhalt wieder aus.

   »Was ist das denn ekelhaftes?«, fragte er und verzog dabei angewidert das Gesicht.

   Nun konnte Nugella nicht mehr an sich halten. Sie drehte sich energisch um, wobei die Eier, die sie auf dem Wender hatte, hoch in die Luft flogen, eine kleine Pirouette vollführten und dann klatschend auf dem Boden landeten.

   »Das, Gramir, ist … oder besser war mein selbst angesetzter Braunsumpfsud. Mit dem wollte ich den Nomenbraten zubereiten. Das kann ich jetzt ja wohl vergessen«, schimpfte sie wütend.

   »Ich glaube nicht, dass mir der Braten mit diesem … Sud geschmeckt hätte«, murmelte Gramir.

   »Das ist ein ganz neues Rezept. Das ist der letzte Schrei in Dúnbaldur. Von Meisterin Borkfus selbst kreiert.« Nugella funkelte ihren Mann finster an und griff nach einem Mopp, um die verlorenen Eier zusammenzukehren und in den Müll zu werfen.

   Doch bevor sie dies tun konnte, fegte aus der Wohnkammer ein rattenähnliches Wesen heran und verschlang die auf den Boden gefallenen Eier mit zwei schnellen Zügen. Dann sah es die Zwergin an und peitschte mit seinem langen Schwanz.

   Nugella lächelte und tätschelte dem Tier den Kopf. »Ach Ring, wenn wir dich nicht hätten«, sagte sie. »Du alter Resteverwerter.«

   »Ja, ist ein ganz Feiner. Nicht wahr, Ring? Du bist ein ganz Feiner«, juchzte Gramir, klatschte sich dann auf die angewinkelten Beine und rief: »Na komm, Ring. Komm zu Herrchen.«

   Das Tier peitschte freudig mit dem langen Schwanz, nahm Anlauf und war mit einem Satz auf dem Schoß des Zwerges gelandet. Mit seiner rauen Zunge begann er, Gramir das Gesicht abzulecken.

   »Ho ho ho«, lachte der Zwerg. »Ja, ein ganz Feiner.«

   »Wie siehst du eigentlich schon wieder aus?«, fragte seine Gemahlin.

   »Wieso? Wie sehe ich denn aus?« Gramir war verwirrt.

   »Deine Haare. Das ist ja kaum mit anzusehen«, gab sie zurück.

   »Ich weiß nicht, was du meinst.«

   »Du musst zum Rasurer.«

   Gramir sprang auf, wobei Ring quietschend und überrascht auf den Boden fiel. »Nur über meine Leiche!«, brüllte der Zwerg und fasste sich im gleichen Augenblick an den Mund, als wenn er versuchen wollte, seine ausgesprochenen Worte zurückzuholen.

   »Das lässt sich einrichten, Herr Gemahl«, entgegnete Nugella scharf.

   Gramir versuchte, seine Frau zu besänftigen: »Hör zu, Schnuckelchen. Ich bin ein Zwergenmann und … du weißt genau, dass wir so aussehen müssen.«

   »Achja?«, fragte Nugella bissig. »Und wieso sind dann Lorin, Horgar, Dafúr oder Brimbel viel adretter anzusehen als du?«

   Zornesröte stand dem Zwerg im Gesicht. »Aha. Es geht also mal wieder um diese Schnösel«, murrte er.

   »Diese … Schnösel … sind stattliche Zwergsbilder. Weil sie gepflegt sind.«

   »Weil sie gepflegt sind«, äffte der Zwerg seine Frau nach. »Ich bin ein Zwerg, wie ein Zwerg sein soll.«

   »Halsstarrig, stur und versoffen!«, meinte Nugella.

   »Gradlinig, standhaft und … trinkfest«, versuchte der Zwerg, seine Gattin zu verbessern.

   »Du warst sturzbetrunken, als du um drei nach Hause kamst. Und dann hast du auch noch versucht, mich zu begrapschen.«

   »Liebes, ich wollte dir lediglich einen Gute Nacht Kuss geben.«

   »Einen Gute Nacht Kuss? Du hast gestunken wie eine ganze Schweineherde. Wolltest du mich damit betäuben, um dich dann über mich herzumachen?«

   »Nein«, antwortete Gramir kleinlaut.

   »Du weiß nicht mal mehr was davon, oder?«, fragte sie nach.

   »Öhm … doch, doch natürlich.« Der Zwerg versuchte, sich verzweifelt zu erinnern. Denn wenn seine Frau so mürrisch war, dann musste er sich doch ziemlich daneben benommen haben. Da ihm aber nichts einfiel, so sehr er sich auch bemühte, versuchte er es mit einer Ablenkung: »Du siehst gut aus heute morgen.«

   Mit einem lauten »Platsch« landete der Mopp in seinem Gesicht.

   »Schnauzelchen«, murmelte Gramir. Das Wischwasser tropfte ihm von den Haaren in den Bart und dann herab auf sein Wams.

   »Es hat sich ausgeschnauzelt!«, schimpfte Nugella. »Du wirst heute noch zum Rasurer gehen.«

   Gramir sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, mit seiner Gemahlin zu diskutieren. »Na schön. Wenn du so einen Wert darauf legst. Aber bitte nach dem Frühstück.«

   »Nein!« Nugella stand vor ihm und drohte mit dem Mopp. »Du gehst jetzt sofort. Ich möchte nicht mit einem Zwerg frühstücken, der aussieht, als wenn ein Ork in ein Riesenspiennennetz gefallen ist. Da kommen mir ja die Eier wieder hoch.«

   Gramir verschluckte eine Bemerkung, die in diesem Augenblick sein sicheres Ableben bedeutet hätte, erhob sich murrend und schlurfte in Richtung Schlafkammer. Kurze Zeit später stand er in voller Kampfrüstung wieder in der Küche.

   Nugella verdrehte die Augen. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte sie.

   »Was denn nun schon wieder?«

   »Du gehst zum Rasurer, du ziehst nicht in eine Schlacht. Zieh dir gefälligst etwas Normales an.«

   Der Zwerg überlegte. Er war so gut wie immer in seine Kampfrüstung gekleidet. Was meinte sie denn mit »etwas Normales«?

   Nugella hatte am Gesichtsausdruck ihres Mannes die nur in seinem Kopf befindliche Frage erkannt. »Die Ausgehrüstung, Gramir. Die meine ich.«

   »Och nö, die ist unbequem und ich hab sie noch nicht eingelaufen«, murrte der Zwerg.

   »Weil du sie nie trägst. Aber heute ist kein Kampf, keine Schlacht, kein Gelage. Da wirst du sie anziehen. Ich möchte nicht, dass die anderen Zwerginnen über mich tuscheln.«

   »Wer tuschelt denn?«, fragte er nach.

   »Herinde, Beresol, Malferd, Carina!«, gab sie ihm wie aus der Pistole Geschoßen zurück.

   »Sind das nicht die Frauen von den Schnöseln?«, fragte er nach und bereute es sofort wieder.

   »Das sind die Frauen von vorzeigbaren Zwergen!«, antwortete Nugella scharf.

   Gramir hielt den Mund und verkniff sich jede Erwiderung. Es hatte eh keinen Zweck. Also zog er sich um, fluchte dabei wie ein Gossenzwerg über die Ausgehrüstung und warf ein »Ich geh dann mal« in die Küche. Kurze Zeit später stand er vor seiner Behausung und trat den Weg zum Rasurer an.

   Mehrere Zwerge begegneten ihm auf den Weg, sahen ihn amüsiert wegen seiner Ausgehrüstung an, vermieden es aber, ihn anzusprechen. Gramir war als wilder Kämpfer bekannt, der bei der kleinsten Bemerkung eine Schlägerei anfing.

   Seiner Laune waren die kurzen Begegnungen nicht gerade förderlich und so stand er schließlich mit hochrotem Zorneskopf vor der Tür des Rasurers.

   »Wegen Krankheit auf unbestimmte Zeit geschlossen«, las Gramir und sein Herz begann zu hüpfen. Jetzt konnte ihm Nugella nicht mal böse sein, er hatte es schließlich versucht. Beschwingt trat er den Heimweg an.

   Er stieß die Tür auf und rief fröhlich: »Ich hab es versucht, aber der Rasurer ist krank und da ist auf unbestimmte Zeit geschloßen.«

   »Was für ein Unglück«, rief seine Frau, trat aber lächelnd aus der Küche hervor.

   Hier stimmte etwas nicht. Gramir fühlte es bis in die Fußspitzen. Er hatte einen Wutausbruch seiner Frau erwartet, die sich aber schließlich in ihr Schicksal hätte fügen müssen. Stattdessen lächelte sie. Das passte ganz und gar nicht.

   »Ja«, gab er verwirrt zur Antwort. »So ein … Unglück.«

   »Rate mal, wer gerade vorbeigekommen ist? Herinde. Und sie hat mir von einem ganz neuen Rasurer erzählt, der etwas außerhalb sein Geschäft aufgemacht hat. Ist das nicht ein Glück im Unglück?«

   Dem Zwerg lief es eiskalt den Rücken herunter und die gute Laune verschwand schlagartig. »So ein Glück«, murmelte er fassungslos.

   »Ja, das finde ich auch. Es soll wohl kein Zwerg sein, aber wen interessiert das schon. Auf jeden Fall soll dieser Rasurer ganz außergewöhnliche Frisuren schneiden können. Es ist ein Wanderrasurer«, redete Nugella weiter.

   »Aha.« Mehr fiel Gramir nicht ein.

   »Dieses Flugblatt hat sie mir gegeben«, sagte Nugella und reichte dem Zwerg ein Blatt Papyrus.

   »HORKUS – WanDarassurer« las Gramir. »Rasur ich Dik, Rasur ick FrIsUR«, stand in weiteren, krakligen Buchstaben darauf. Und dann eine Wegbeschreibung. Und zu guter Letzt ein großes »BilLLIck«

   »Das ist ja außerhalb unseres Reiches«, rief Gramir entsetzt. »Mitten im Wald!«

   »Na und wenn schon«, entgegnete seine Frau. »Es ist kürzer, als wenn du nach Tin Farum gehst.«

   »Tin Farum? Warum sollte ich denn in das zweite Zwergenreich gehen?«, fragte er verwirrt nach.

   »Weil ich dich dort zum Rasurer schicken würde. Sei also froh, dass es nur so ein kurzer Weg ist«, antwortete ihm seine Gattin mürrisch.

   »Aber …«, versuchte er eine Erwiderung, doch Nugella fiel ihm ins Wort:

   »Na los, auf, auf!«

   »Ja doch, Schnäuzelchen«, murmelte der Zwerg, seufzte und griff nach seiner Streitaxt.

   »Was willst du denn damit?«, fragte seine Gattin.

   »Ich kann doch nicht ohne meine Axt los«, murrte Gramir.

   »Die Axt bleibt hier!«, sagte Nugella wütend.

   »Aber …«

   »Die Axt bleibt hier!«

   »Dann bin ich waffenlos«, versuchte der Zwerg es ein letztes Mal.

   »Hier, nimm den Mopp, wenn du meinst, dass auf dem Weg zum Rasurer ein Krieg ausbrechen wird«, entgegnete Nugella schnippisch.

   Gramir öffnete den Mund, entschied sich aber, diesen schnell wieder zu Schließen. Schließlich hatte er, für alle Fälle, immer noch einen Dolch in seiner Ausgehrüstung. Diesen hatte er ohne das Wissen seiner Gemahlin heimlich und versteckt eingeschmiedet. Er winkte und machte sich erneut auf den Weg.

   Es dauerte wirklich nur eine Stunde, bis Gramir den Wald erreicht hatte. Er nahm das Flugblatt hervor, um sich zu vergewissern, dass er auch den richtigen Weg nahm. Leider war das der Fall. Er hätte sich wirklich gewünscht, wenn er sich verlaufen würde.

   Durch das Dickicht sah er etwas leuchten. Er seufzte, mal wieder, rollte das Flugblatt zusammen und schritt auf das Leuchten zu.

   Auf einer kleinen Lichtung stand ein großes Zelt, welches nicht gerade neu wirkte. Es war an vielen Stellen zerrissen und etliche Löcher hatten sich in die Zeltbahnen gefressen. Es sah an einer Ecke sogar so aus, als wenn es dort Feuer gefangen hatte.

   Das Leuchten kam von einer kleinen Laterne, die an einem Stab angebracht war, der tief im Waldboden steckte. Genau daneben entdeckte er ein Holzschild: »HORKUS – Rasura. Kaine Wardezaiten, ohne Tarmin«, stand in den gleichen, krakeligen Buchstaben, wie auf dem Flugblatt darauf.

   »Hallo?«, rief Gramir und sah sich um.

   »Ick gomme glaich. Aine Moment!«, schalt es aus dem Zelt zurück. Dann polterte es und am Zelteingang erschien ein Kopf.

   »Ein Ork!«, brüllte Gramir und griff nach seiner Axt. Da er diese aber, wie wir wissen, nicht mitnehmen durfte, fasste er ins Leere. Wo war der Dolch?

   Der Ork war mittlerweile aus dem Zelt herausgekommen. In seinen Händen hielt er ein Rasurmesser.

   Der Zwerg wünschte seiner Frau gerade Warzen an Stellen, wo man sie nicht sehen konnte. Er hatte es gewusst. Warum nur hatte er klein beigegeben und die Axt nicht mitgenommen? Schließlich war er der Zwerg im Haus. Er hätte einfach nur autoritär sein müssen. Nun stand er diesem Ungeheuer fast waffenlos gegenüber. Wo war nur der Dolch?

   »Rasur?«, fragte der Ork und setzte ein Lächeln auf. Dabei schwang er das Rasurmesser schwungvoll hin und her.

   »Das wars, das ist dein Ende«, dachte Gramir. »Ermordet von einem Ork, der einen wehrlosen Zwerg mit einem Rasurmesser die Kehle aufgeschlitzt hat. Ha, Nugella, du wirst dir Vorwürfe machen. Und das zu Recht.« Wo war der Dolch?

   »Rasur?«, fragte der Ork erneut und öffnete den Vorhang, der in das Zelt hineinführte. Er machte eine einladende Geste.

   Gramir war verwirrt und nickte nur.

   »Bitte. Harain.«

   Der Zwerg machte ein paar Schritte auf das Zelt zu. Dann sagte er: »Du bist ein Ork.«

   Dieser lächelte. »Jawohl. Du ein Zwerg. Ich Horkus. Du?«

   »Was?«, fragte Gramir.

   »Ich Horkus. Du?«, versuchte es der Ork erneut.

   »Ich Gramir«, antwortete der Zwerg und schüttelte den Kopf, als er sich bewusst darüber wurde, dass er gerade die Sprechweise des Orks imitierte.

   »Du komm rain. Du Rasur, ja?«, fragte Horkus.

   »Ja, ich Rasur«, gab Gramir zurück, während ihn der Ork freundlich, aber bestimmt, in das Zelt schob.   

   Mehrere Laternen brannten im Inneren. An einer Seite stand ein Stuhl, der scheinbar von einem handwerklich Ungeschickten zusammengehämmert war. Vor diesem befand sich ein großes Schild aus Silber, dass augenscheinlich einem Ritter gehört hatte. Es war so poliert worden, dass man sich darin hätte spiegeln können, wenn es nicht so staubig gewesen wäre.

   An der anderen Seite des Zeltes standen ein paar Holztafeln, auf denen Steckbriefe von verschiedenen Personen, unterschiedlichster Rassen angebracht waren.

   »Du wollen modischa Frisur, ja? Da du können gucken«, sagte Horkus, gab dem Zwerg einen kleinen Schubs, so dass er im Holzstuhl Platz nahm und drehte diesen zu den Steckbriefen.

   »Du wolle so?«, sagte der Ork und zeigte auf ein Holzschild. »Oda lieba so?« Er zeigte auf ein Anderes.

   »Nein, nein. Nein Danke. Nur die Spitzen schneiden bitte«, entgegnete Gramir verwirrt.

   »Ah. Ich Vastehe. Auch Bart schneide?«, fragte Horkus und hatte im gleichen Augenblick einen Dolch an der Kehle.

   »Fass meinen Bart an und bist schneller tot, als du es begreifst, Ork«, zischte Gramir wütend.

   Horkus liefen ein paar Schweißtropfen auf die Stirn. »Ich sehe, du nur wollen Rasur«, sagte er ängstlich. »Du stecke Messerchen bitte weg. Sonst ich kann nicht frisuren.«

   »Hrmpf«, machte Gramir und steckte den Dolch zurück in seine Halterung. Dann versuchte er, sich zu merken, wo diese war, damit er es das nächste Mal schneller fand.

   Horkus wischte sich mit seiner Hand über die Stirn, griff dann nach einem großen, aber verschlissenen Tuch und warf es dem Zwerg gekonnt über den Wams. Es roch nach totem Elb.

   »Ist das ein Elbenumhang?«, fragte Gramir entsetzt.

   »Kaina Bange. Besitzer tot«, antwortete Horkus lächelnd. »Und nain, ich nicht tot gemacht. Ich gekauft in Wrunsch.«

   »Du hast den Umhang von den Ogern gekauft?«, fragte der Zwerg ungläubig.

   »Ja, ist B-Ware. War gunstig. Du jetzt entspanne.« Horkus überlegte kurz und fragte dann: »Du wolle Haare wasche?«

   »Waschen?« Gramir wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den Ork für diese Frage, wenn schon nicht die Kehle aufgeschlitzt, dann doch wenigstens vermöbelt. Aber dann hätte er keine Rasur mehr bekommen und Nugella wäre so wütend geworden, dass sie ihn tatsächlich noch in das zweite Zwergenreich geschickt hätte. Also sagte er nur: »Nein. Trockenschnitt bitte.«

   »Isse kaine Problem. Kunde ist König«, entgegnete Horkus, legte das Rasurmesser zur Seite und griff nach einer großen Schere.

   Da fiel dem Zwerg etwas ein und er fragte: »Wieso bist du nicht bei deinem Volk? Wieso bist du ein Rasurer geworden?«

   Der Ork schwieg eine kleine Weile und klapperte ab und zu mit der Schere. Dann antwortete er: »Ich nicht mehr mag tot machen. Ich Kunstla. Ich mag haben Frieden.«

   »Aber ihr Orks seid doch … ähm … also …« Gramir rang nach Worten.

   Horkus lächelte: »Du könne ruhig sage. Wir Monster. Blutrunstige Scheusale. Machen alles tot, ja?«

   Gramir wand sich unbehaglich. »Naja … ja … nicht?«

   »Ah. Das alles nicht stimme. Erfunden von Bolkien und andere. Wir habe viele Kunstla. Male Bilda. Baue Möbel. Der Stuhl ist von maine Schwips-Schwager Mordun gebaut. Gut, nicht?«

   »Joah, nicht … schlecht«, gab Gramir zur Antwort.

   »Ich erster und einziga Rasurer in meine Volk«, erwiderte Horkus stolz.

   »Ach«, sagte der Zwerg. »Hast du viele Kunden?«

   »Nain, laida nicht. Alle denken, ich mache Kunden tot. In Harsdorf sie wollten anzunde maine Zelt.«

   »Schockierend. Ja, die Menschen sind schon recht unzivilisiert.«

   »Du bitte jetzt nicht bewege. Ich vorher nur geubt an tote Köpfe. Du bist erste Kunde, der am Leben.«

   Der Zwerg riss die Augen auf. »Willst du damit sagen, dass ich dein Erster … du hast vorher noch nie … NOCH NIE?«

   »Kaina Panik. Ich geubt an viele Köpfe. Du werde sehe, ich kann.«

   Gramir schickte ein Gebet an Koldór, den Zwergengott. Und wünschte seiner Gemahlin weitere Geschwüre. Juckende am besten.

   »So … ich jetzt fange an.«

   Schnipp. Schnapp. Schnipp. Schnapp.

   »Ha. Geht gut. Wie mit tote Kopf. Isse ganz laicht«, sagte Horkus und freute sich.

   Schnipp. Schnapp. Schnipp. Schnapp.

   »Hm«, murmelte der Ork. Seine Stimme klang unzufrieden. »Iss schief. Nicht gutt. Muss sein gerade.«

   »Ach, ein bisschen schief ist schon in Ordnung.«

   »Nain, nain. Muss sein gerade.«

   Schnipp. Schnapp. Schnipp. Schnapp.

   »Gronsch!«, fluchte Horkus. »Wieda schief. Hast du bewegt deine Kopf?«

   »Ich? Ich hab mich nicht bewegt«, erwiderte Gramir.

   »Doch, du musst. Bei tote Kopf imma gerade.«

   Schnipp. Schnapp. Schnipp. Schnapp.

   Stille.

   »Was? Was ist?«, fragte der Zwerg aufgeregt.

   »Iss … alles gut. Alles … gerade …«

   Schnipp. Schnapp. Schnipp. Schnapp.

   »Ist das nicht ein bisschen viel Schnipp Schnapp?« Gramir wurde wütend und gleichzeitig überkam ihn etwas Panik.

   »Naaaain«, entgegnete der Ork, dessen Stimme aber nicht mehr so sicher klang.

   Schnipp. Schnapp. Schnapp.

   »Oh!«

   Wieder Stille.

   »Was … meinst du mit … Oh?«, fragte Gramir leise.

   Stille.

   »Was … meinst du mit … Oh?«, fragte Gramir, nun lauter.

   »Oh … gutt … modisch … gutt«, antwortete Horkus. »Immahin gerade.«

   »Immerhin gerade? Hast du immerhin gerade gesagt?«

   »Hab ick?«

   »Ja, hast du!«

   »Ja … ist modisch … trägt man heuta so.« Und dann hängte er noch etwas an, was beim ersten Zuhören als »Wurzwarwisu« zu verstehen war.

   »Was?«, fragte der Zwerg nach.

   »Wurzwarwisu«, antwortete der Ork.

   »Langsamer und verständlicher, Ork!«, fauchte Gramir.

   Horkus bewegte sich unmerklich mehrere Schritte zurück und prüfte den Abstand von Zwerg zu sich und dem Zeltausgang. Dann fasste er sich ein Herz und sagte, langsam und bedächtig: »Kurz … Haare … Frisur.«

   Gramir sagte lange Zeit nichts. Dann kam ein einziges Wort aus ihm heraus: »Spiegel.«

   Der Ork machte zwei weitere Schritte in Richtung Zeltausgang. »Keina gute Idee.«

   »Spie-gel!«, befahl der Zwerg.

   Noch zwei Schritte, dann wäre Horkus am Ausgang angekommen. Denn er wusste, dass Zwerge zwar gute Sprinter, aber in der Langstrecke doch hinter Orks zurückbleiben würden. So hatte es jedenfalls mal ein Zwerg verlauten lassen, damals, vor der großen Schlacht.

   Urplötzlich war Gramir aufgesprungen und hatte sich umgedreht. Er funkelte Horkus wütend an. »Wo willst du denn hin, Bürschen?«, fragte er und versuchte, seine Zwergenwut in Zaum zu halten.

   »Ich? Ich nur wolle hole … Besen … ja … für Haare auf Boden«, antwortete der Angesprochene und griff nach irgendetwas in seiner Nähe. Er hielt ein Fläschen Schwarztopf Haarwasser in den Händen. »Isse gar nicht Besen.«

   Gramir ging mit schnellen Schritten auf das Silberschild zu, riss sich den Umhang herunter und rieb damit darüber. Nachdem die Staubschicht entfernt war, sah er hinein und erkannte sein Spiegelbild.

   Eiskaltes Grauen erfasste ihn und sein Innerstes konnte sich nicht entscheiden, ob er nun vor Wut schnaubend dem Ork das Lebenslicht auspusten oder lieber weinend im Erdboden versinken sollte.

   »Meine Haare …«. Der Zwerg schluckte und eine dicke Träne lief ihm über das Gesicht. Sein Innerstes hatte sich anscheinend entschieden.

   »Du musse nicht bezahlen.« Die Stimme des Orks schwankte zwischen hohen und tiefen Tönen. Ein, wie aus dem Nichts vor seinem Gesicht aufgetauchter Dolch bohrte sich in die Haarwasserflasche, die er gerade vor sich gehalten hatte, um zu lesen, was in der Gebrauchsanleitung stand. Nur Millimeter vor seinem Auge.

   Horkus warf die Flasche weg und tauchte durch den Zeltausgang, verfolgt von einem vor Wut schnaubenden Zwerg, der ihm die wüstesten Beschimpfungen hinterherrief.

   Nach mehreren Hundert Metern wilder Verfolgungsjagd durch den Wald, bewahrheitete sich der Ausspruch des Zwerges vor der großen Schlacht. Gramir blieb immer weiter zurück und Horkus konnte sich so vor dem sicheren Tode retten.

   Schließlich gab es der Zwerg auf und kehrte zu dem Zelt des ehemaligen Rasurers zurück.

   Der Rückweg in das erste Zwergenreich Dúnbaldur gestaltete sich für Gramir zu einer Tortur, denn schon, als ihn die Zwergenwachen erblickten, sah er das Grinsen in deren Gesichtern. Als er näher kam, brachen diese in schallendes Gelächter aus, und scherten sich nicht darum, dass ihnen Gramir jeweils eine Kopfnuss versetzte.

   Viele Zwerge fielen auf dem Weg zu seiner Behausung. Die meisten brachen vor Lachen zusammen. Es gab nur ein paar wenige, die er mit gezielten Fausthieben zu Boden strecken konnte.

   Als ihn seine Frau erblickte, schloss sie die Augen und sagte: »Warum tust du mir das an? Ich wollte doch nur einen adretten und gut aussehenden Zwerg an meiner Seite haben. Und nur, um dich an mir zu rächen, kommst du so nach Hause. Du bist gemein.«

   Und damit verschwand sie weinend im Schlafgemach und warf krachend die Tür ins Schloss.

   »Aber … Schnauzelchen … es war ganz anders …«, sagte Gramir kleinlaut, griff dann nach dem Zwergenschnaps, ließ sich im Sessel nieder und leerte die Flasche in einem Zug. Seiner Ehefrau zu erklären, wie es es wirklich gewesen war, würde er heute nicht mehr versuchen.

   Mehrere Monate sah man im Zwergenreich Dúnbaldur nicht mal mehr einen Fuß von Gramir. Er fehlte bei den Clanversammlungen ebenso wie bei den Ratsgesprächen. Fragte man nach ihm, erzählte ihnen Nugella, dass er allein zu einem Verwandtenbesuch nach Beulhelm aufgebrochen sei. Dabei wäre er einem Ringträger begegnet, mit dem er auf eine Mission zur Rettung der Welt gegangen war.

   Diese Geschichte klang zwar ungeheuerlich, aber die Wahrheit hätte ihnen niemand geglaubt.

Ende

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