Die Legenden von TargAnor
Aus dem Buch 1
Schwungvoll wurde die Tür der Taverne »Zum Blecheimer« aufgetreten. Das eben noch rege Treiben erstarb. In der Tür zeichnete sich die Silhouette eines Ritters ab. Ein, wie aus dem Nichts erscheinender Blitz und der darauffolgende Donner, unterstützten die Dramatik des Augenblicks.
Allerdings hatte dies nichts mit dem Ritter oder der Dramatik zu tun, sondern war nur ein missglückter Zauberspruch eines Magiers, der zufällig in diesem Moment passierte.
Als der Ritter sich in Bewegung setzte, um die Taverne zu betreten, verflog die Starre der Gäste allerdings schlagartig.
»Es ist nur ein Ritter der goldenen Rose«, rief eine männliche Stimme und sofort setzte das rege Treiben wieder ein. Niemand beachtete den Neuankömmling mehr.
»Tür zu!«, rief jemand und der Ritter schloss diese, wie befohlen. Dann trat er an den Tresen heran.
»Was darf es sein?«, fragte Torik, der Wirt, während er ein schmutziges Glas in den Händen hielt und mit einem Lappen halbherzig darüber wischte.
»Mein Name ist Grisbald von der Höhe. Ich bin ein Ritter der goldenen Rose. Ich hoffe, Herr Wirt, hier etwas Speis und Trank zu mir nehmen zu können.«
»Hm«, machte Torik und schielte den Ritter an. Seine Rüstung war arg zerbeult und es machte den Eindruck, dass dieser Mann seine besten Tage bereits hinter sich hatte. Von der Rüstung ganz zu schweigen.
»Könnt ihr denn bezahlen?«, wollte der Wirt wissen.
Grisbald von der Höhe setzte ein Lächeln auf. »Guter Mann«, begann er. »Man lauerte uns auf in einem Hinterhalt und ich kam gerade so mit dem Leben davon. Meinen Kameraden allerdings erging es schlecht.«
»Und?«
Torik war bekannt dafür, seine Fragen präzise und mit möglichst wenig Worten vorzutragen.
»Nun, ich hoffte, in euch einen edlen Spender vorzufinden, der solch eine Herzensgüte in sich trägt und einem …«
»Ihr wollt etwas umsonst?«, unterbrach der Wirt die wohlklingende Rede des Ritters barsch.
»Äh … so es euch genehm sei«, antwortete Grisbald.
»Mir genehm?« Torik runzelte die Stirn.
»Mit einfacheren Worten ausgedrückt, edler Herr, ja.«
Torik beugte sich über den Tresen und sah den Ritter an. Dann sagte er in ruhigem Ton: »Herr Ritter. Ich betreibe mein Gasthaus schon eine ganze Weile. Ich habe Frau und Kind zu ernähren. Der Fiskus sitzt mir im Nacken und nimmt sich von meinen Einnahmen ein erhebliches Sümmchen. Ganz davon zu schweigen, dass ich Grundsteuern zu zahlen habe, Einlagen für meine Mitarbeiter, Weihnachtsgelder, Urlaubsgelder, Krankenkassenzuschläge und andere Dinge. Wenn ich jedem, der in einen Hinterhalt geriet, einfach so etwas für lau gebe, dann treibt mich das schneller an den Bettelstab als mir, meiner Frau und meinem Kind recht sein kann.«
»Ah. Ja, ich verstehe. Ich will euch auch sicher nicht zur Last fallen. Es muss nicht das Beste sein, was ihr mir anbietet«, erwiderte Grisbald.
»Nun, ich will nicht hartherzig erscheinen. Ihr könnt einen Krug Wasser bekommen und einen Kanten altes Brot.«
»Ich stehe tief in eurer Schuld, edler Herr«, erwiderte der Ritter erfreut.
Torik steckte sich den Lappen an seinen Gürtel und ging in Richtung eines Fasses. Er griff nach einem Humpen, der daneben stand, kippte den undefinierbaren Inhalt aus und tauchte diesen in das Fass.
Als er ihn wieder hervorholte, nahm er die nasse Socke, die sich um den Humpen gewickelt hatte, ab und warf sie zurück in das Fass.
Dann setzte er ihn unsanft vor dem Ritter auf den Tresen. »Ich hole noch das Brot«, sagte er und schlurfte durch einen Vorhang davon.
Grisbald besah sich den Humpen und stellte fest, dass nicht nur er bräunlich schimmerte, sondern auch das sich in ihm befindliche Wasser.
Er seufzte und nahm einen Schluck. Dann kniff er die Augen zusammen, schüttelte sich und gab ein würgendes Geräusch von sich.
In diesem Augenblick hörte man ein Schwein grunzen und Grisbald von der Höhe hatte den Eindruck, auch die Stimme des Wirtes zu vernehmen, der »Du hast genug zu fressen, Dickbauch. Da iss’n Ritter, der hat Hunger. Gib mal was ab«, zu sagen schien.
Dann kam Torik zurück, griff nach einem Teller, platzierte ein Stück Brot darauf und reichte ihn dem Ritter.
»Habt Dank, edler Herr«, sagte Grisbald und deutete eine Verbeugung an.
»Schon gut, ich bin ja kein Unmensch.«
Der Ritter nahm das Brot, führte es zu seinem Mund und biss herzhaft hinein. Es knackte leicht, als einer seiner Schneidezähne brach.
»Ei«, sagte er. »Ich glaube, ich tunke es ein. So schmeckt es auch besser.«
Und, gesagt, getan, drückte er den Knust in seinen Humpen. »Ich lass es erstmal da drin. So kann sich der Geschmack besser entfalten.«
»Wie ihr meint«, grunzte der Wirt und wendete sich anderen Tätigkeiten zu.
Als sich aber auch noch einer halben Stunde der Brotknust weiterhin nur als Steinzertrümmerer nutzen ließ, fasste Grisbald den Entschluss, lieber mit leerem Magen ein paar Beeren zu suchen. Er verabschiedete sich höflich und verließ das Gasthaus.
Als er so durch die Straßen Tessals zog, bemerkte er einen kleinen Menschenauflauf. Wobei die Bezeichnung nicht ganz den Kern trifft. Es war eher eine Personenmenge, bestehend aus Menschen, Zwergen, Kobolden, Orks, Elben und anderen Bewohnern dieses Landteils. Sie hatten sich vor einer hölzernen Bekanntmachungswand eingefunden und redeten wild durcheinander.
Grisbald von der Höhe versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um zu erkunden, was dort vor sich ging.
Schließlich stand er ganz vorn und las auf einem großen Papyrus einen Aufruf des Königs:
In Namen des Königs wird ein aufrechter Drachentöter gesucht. Es mögen sich jede oder jeder wackere Frau, Mann, Elbfrau, Elbmann, Koboldfrau, Koboldmann, Orkfrau, Orkmann …
Die Liste war sehr lang und umfasste wahrscheinlich sämtliche Rassen und Geschlechter von ganz TargAnor.
… im Schlosse melden. Es wird von Königswillen her auf Eides statt versichert, dass die oder der tapfere Frau, Mann, Elbfrau …
Insgeheim hoffte man, dass die oder der Schreiber die neuste Erfindung der Schreibkunst, den sogenannten Textbaustein genutzt hatte, denn sonst wäre demjenigen eine Arm- und Handerlahmung gewiss gewesen.
Die Technikinteressierten unter ihnen können sich gern in der Lexikopedia TargAnoria über die Funktionsweise dieses Steins informieren. In diesem Buch würde eine Erläuterung den Rahmen allerdings sprengen.
… eine große und einzigartige Belohnung erwarte. Sollte die oder der Bewerberin oder Bewerber auserwählt werden und die Aufgabe zur Zufriedenheit des Königs erfüllen …
Jedem, außer einem königstreuen Ritter, fiel hier der kleine Fallstrick auf. Denn wenn die Aufgabe zwar erfüllt wurde, es aber nicht reichte, um den König zufriedenzustellen, dann war es saures Wasser mit der Belohnung.
… so möchten wir darauf hinweisen, dass bei einer eventuellen Sachbelohnung eine Auszahlung in Talern nicht möglich ist.
Eine erneute Klausel, die als unbedarfter auch gern überlesen werden und später zu einem bösen Erwachen führen könnte.
Gezeichnet im Auftrage des Königs.
Grisbald überlegte nicht lange und machte sich sofort auf den Weg zum Schloss. So eine Gelegenheit konnte er sich nicht entgehen lassen. Dabei war ihm die Belohnung nicht so wichtig, eher der Ruhm und die Anerkennung als echter Ritter.
Als er vor den Schlosswachen stand, wurde er von diesen zunächst aufgehalten:
»Halt! Was ist euer Begehr?«, fragte ein großer, breitschultriger Kerl und hielt ihm eine Lanze vor die Nase.
»Mein Name ist Grisbald von der Höhe, Ritter der goldenen Rose. Ich möchte den König sprechen.«
»Das wollen viele«, antwortete ihm die Wache. »Möchten sie den König in einer Angelegenheit sprechen, welche Steuern oder Abgaben betrifft, so sagen sie bitte Eins. Möchten sie den König sprechen, um ein Almosen zu erbetteln, sagen sie bitte Zwei. Möchten sie den König sprechen, um ihm eine Kriegserklärung eines anderen Königreichs zu überbringen oder den König auf Grund eines Meuchelmordes besuchen, sprechen sie bitte ein Gebet. Für alle anderen Angelegenheiten sagen sie bitte Andere Gründe.«
»Andere Gründe.«
»Vielen Dank. Bitte bleiben sie hier stehen. Ein freier Mitarbeiter des Königs wird sich gleich um sie kümmern.«
Nun schaltete sich auch die andere Wache ein: »Aus Schulungsgründen möchten wir sie darüber informieren, dass ihr Gespräch mit dem König belauscht und aufgezeichnet wird. Sollten sie damit nicht einverstanden sein, sagen sie bitte deutlich Wingelwawopperwamm.«
»Wingelwawas?«, fragte Grisbald nach.
»Vielen Dank für die Einwilligung zur Aufzeichnung.«
»Äh … ja.« Der Ritter war sichtlich verwirrt.
Da erklangen tippelnde Schritte und eine kleine Gestalt in einem festlichen Gewand erschien am Tor.
»Sie wollen was vom König?«, fragte die Gestalt.
»Jawohl. Ich bin Grisbald von der Höhe, Ritter der goldenen Rose.«
»Und worum geht es bitte?«
»Es geht um den Drachen«, antwortete der Ritter mit erhobenem Haupt.
»Oh!«, machten Wachen und kleine Gestalt im Einklang.
»Lasst den Ritter durch, ich führe ihn direkt zum König.«
»Jawohl, Großmeister Frankus«, antworteten die Wachen, zogen ihre Lanzen zurück und machten Grisbald von der Höhe Platz.
Während der Großmeister den Ritter zum Thronsaal des Königs geleitete, fragte er: »Haben sie Erfahrung im Töten von Drachen?«
»Ich bin eher … Quereinsteiger«, antwortete Grisbald.
»Ach, was haben sie denn vorher gemacht?«
»Ja … das Übliche. Kreuzzüge und so.«
»Sind sie auf Grund einer Empfehlung zu uns gekommen?«
»Nein … eher … Initiativ.«
»Ich verstehe, ich verstehe«, sagte der Großmeister. »Ich meine, die Ritter der goldenen Rose sind ja nicht gerade bekannt für das Töten von Drachen. Eher für erfolgloses Schlachtengetümmel.«
»Ja«, erwiderte der Ritter. »Das ist unsere Berufung.« Dann dachte er kurz nach und fügte hinzu: »Erfolglos würde ich es aber nicht nennen.«
»Von hundert Mann verblieben vier und die noch arg zerschunden«, zitierte der Großmeister eine Stelle eines Liedes der Rabenbaren.
»Aber wir haben uns unsere Haut teuer verkauft!«. Grisbald sagte dies voller Stolz. Und er glaubte daran.
»Wenn wir gleich vor dem König stehen, so legt euer Schwert als Zeichen der Ehrerbietung mit dem Knauf zum König auf den Boden«, gab der Großmeister dem Ritter eine Anweisung.
»Mein Schwert?«, fragte der Ritter und ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Ja, euer Schwert«, antwortete der Großmeister.
»Ähm …«
»Das, was ihr da an eurer Seite in der Scheide tragt.«
»Ja …«, druckste Grisbald, »das Schwert … wenn ihr meint …«
Ohne weitere Worte schritten sie durch die Halle, bis sie vor den Flügeltüren des Thronsaals standen. Zwei Gardewachen salutierten dem Großmeister und öffneten das Tor.
Während sie eintraten, verbeugte sich der Großmeister und der Ritter tat es ihm nach.
»Oh König Teladon, ich bringe euch Grisbald von der Höhe, Ritter der goldenen Rose. Er ersucht um die Gunst, den Drachen zu töten.«
Der König saß in seinem Thron und erhob das Haupt. Er blickte den Großmeister an, schwenkte dann seinen Blick zum Ritter und gebot ihm mit einer Geste, näher zu treten.
»Vergesst das Schwert nicht«, flüsterte der Großmeister.
Grisbald nickte und trat auf den König zu. Mit einer schnellen Geste griff er nach seinem Schwert. Einer zu schnellen Geste, denn nur eine Sekunde später war er von mehreren Gardewachen umzingelt, deren Lanzen auf ihn zeigten.
Hilfesuchend sah der Ritter den Großmeister an. Dieser machte eine schnelle Kopfbewegung.
Grisbald zog daraufhin, langsam, das Schwert aus der Scheide und legte es schnell auf den Boden.
Die Miene des Großmeisters und auch des Königs verzog sich zu einer ungläubigen Grimasse.
Denn was dort auf dem Boden lag, mit dem Knauf zum König, wie es ihm geraten wurde, war nicht wirklich ein vollständiges Schwert. Es war auch kein halbes. Eher war es der Knauf eines Schwertes mit ein wenig zerbrochenem Eisen daran.
»Mögt ihr mir verraten, was mit eurem Schwerte passiert ist?«, fragte der König.
»Eure Hoheit«, begann Grisbald, »dieses Schwert hat mir immer treue Dienste geleistet, doch gerieten wir in einen Hinterhalt und … nunja.«
»Was meint ihr mit Nunja?«, fragte der König erneut.
»Ich konnte mich mit letzter Kraft aus dem Hinterhalt befreien und einem meiner Widersacher einen tödlichen Hieb versetzen. Dabei allerdings hatte ich zuviel Kraft in meinen Schlag gesetzt und mein Schwert zerbarst dabei.«
»Habt ihr gegen Steintrolle gekämpft?«, fragte der König nach und grinste.
»Nein, aber …«. Der Ritter druckste: »Die Waffen der Angreifer waren augenscheinlich von besserer Qualität.«
»Und ihr wollt damit einen Drachen töten?«
»Nun«, antwortete Grisbald und sein Gesicht lief vor Scham rosa an. »Ich hatte gehofft, mir ein Schwert … auszuleihen … und vielleicht auch … eine Lanze?«
Der König lachte. »Ihr seid mir ein schöner Ritter. Kommt her, wollt einen Drachen bezwingen und steht ganz ohne Waffen da. Aber ihr habt Mut, dass muss ich sagen.«
»Danke, eure Hoheit.«
»Ich lasse euch ein gutes Schwert und eine Lanze bringen. Seid ihr erfolgreich, gebe ich sie euch als Belohnung«, sagte der König belustigt.
Der aufmerksame Leser oder Zuhörer wird hier eventuell einen der bereits angesprochenen Fallstricke erkennen. Unser Ritter aber nicht.
»Habt Dank, eure Majestät.« Grisbald verbeugte sich, so tief er nur konnte und es ihm seine Rüstung erlaubte.
»Die Höhle des Drachen befindet sich nordöstlich des Schlosses im Gebirge. Nahe dem Eingang zu Tin Farum. Es dürfte nur ein kurzer Ritt werden.«
»Ja … ein Ritt … da gibt es ein kleines Problem«, erwiderte Grisbald und sein Gesicht hatte eine solche Schamesfarbe angenommen, dass man ihn auch gut als Leuchtfeuer auf einem Wehrturm hätte stellen können.
»Sagt mir nicht, ihr braucht auch ein …«
»Pferd«, führte der Ritter den Satz des Königs zu Ende.
»Was noch? Ein Schild?«, fragte der König und versuchte, nicht laut zu lachen.
»Mein Schild wurde mir von einem Oger abgenommen, Herr«, antwortete Grisbald von der Höhe und wünschte sich, hier und auf der Stelle im Erdboden zu versinken.
Nun schaffte es der König nicht mehr, sich zurückzuhalten und er lachte laut und polternd. »Hahaha, ich glaube, ich lasse euch komplett neu ankleiden. Denn eure Rüstung, so scheint es mir, hat auch schon bessere Tage gesehen.«
»Das ist äußerst großzügig von euch, Majestät«, erwiderte der Ritter und verbeugte sich noch tiefer. Dabei sprangen mehrere Teile seiner Rüstung ab.
»Und bitter nötig«, ergänzte der König, der eine Augenbraue noch oben gezogen hatte.
»Großmeister. Ihr werdet euch darum kümmern«, befahl der König und der Angesprochene machte eine tiefe Verbeugung.
»Jawohl, Majestät. Kommt, Herr von der Höhe.«
Gemeinsam schritten sie aus der Halle hinaus und steuerten auf die Waffenkammer zu. Der Waffenmeister besah sich den Ritter, kniff ein Auge zu und nahm mit den Händen Maß.
»Ja«, sagte er krächzend, »ihr tragt Standardgröße. Da haben wir noch ein paar Stücke in der Auslage.« Dann ging er davon und kam nach ein paar Minuten mit einer Rüstung auf dem Arm wieder zurück.
»Ihr könnt euch dort umziehen, Herr Ritter«, sagte er und deutete auf ein paar kleine Kammern, vor denen jeweils ein Vorhang hing. »Zieht bitte den Vorhang zu, damit ich und die anderen Kunden wissen, dass die Kammer belegt ist.«
»Danke«, erwiderte Grisbald von der Höhe und ging in eine Kammer. Er zog den Vorhang zu und begann, sich aus seiner Rüstung zu schälen.
Nun sollte man wissen, dass ein solcher Vorgang eine geraume Zeit dauerte und allein kaum zu bewerkstelligen war. Und das war auch der Grund, dass Ritter, wenn sie unterwegs waren, ihre Rüstungen nie auszogen. Außer, sie hatten ihren Knappen dabei, der ihnen dabei behilflich sein konnte.
Zum Glück für alle, kamen mehrere Assistenten des Waffenmeisters dem Ritter der goldenen Rose zu Hilfe und so stand er schon nach nur einer halben Stunde vor den Spiegeln und besah sich darin.
»Passt doch wie angegossen, nicht wahr?«, fragte der Waffenmeister.
Grisbald stimmte ihm zu: »Ja, ganz ausgezeichnet.«
Nun holte der Waffenmeister noch ein Schwert, ein Schild und eine Lanze. Er überreichte sie dem Ritter und wünschte ihm viel Glück auf seinen Reisen.
Der Großmeister drückte dem Waffenmeister ein paar Taler in die Hand, als Pfand, und sie gingen danach zum Fuhrparksmeister.
Glauben sie mir, verehrte Leser und Zuhörer, auch ich hätte gern weniger Meister in der Geschichte gehabt, aber ich kann nur wiedergeben, wie es war.
Als Grisbald von der Höhe auf dem Pferd, welches man ihm überlassen hatte, saß, wünschte der Großmeister ihm ebenfalls viel Glück und der Ritter machte sich auf den Weg.
Nach mehreren Tagen Ritt und Rast, kam er schließlich an der Höhle des Drachen an.
Der Weg war einfach zu finden, standen doch viele Wegweiser auf der Strecke, sodass er sich nicht verreiten konnte.
»So. Da sind wir also. Dann wollen wir dem Wyrm zu Laibe rücken«, sagte Grisbald zu sich selbst, legte den Schild an und war gerade im Begriff, die Höhle zu betreten, als er ein Hinweisschild entdeckte.
»Vor dem Betreten bitte Schuhe abputzen. Fackeln für nur einen Taler am Höhleneingang auszuleihen.«
Der Ritter sah zu seinen Füßen herab und bemerkte eine große Matte aus Stroh. Sorgfältig putzte er also seine Stiefel darauf ab und betrat die Höhle.
Nach wenigen Schritten umhüllten ihn fauliger Gestank und Dunkelheit. Er ging also zurück zum Eingang, warf einen Taler in eine kleine Kiste und nahm dann eine Fackel daraus hervor. Diese entzündete sich selbstständig. Fasziniert besah sich der Ritter die Fackel und staunte.
Dann ging er erneut in die Höhle hinein und folgte kleinen Pfeilen, die auf den Boden gezeichnet waren.
Alle paar Meter gab es größere Zeichnungen an den Wänden, die wohl die Geschichte des Drachen erzählten. So jedenfalls ließen es kleine Hinweisschilder vermuten, die die Zeichnungen noch einmal erläuterten.
Dann stand er urplötzlich vor einer großen Tür. An der Wand stand:
»Willkommen im Drachennest von Fargol, dem Großen. Betreten auf eigene Gefahr. Keine Haftung für Rüstung oder Körperschäden. Eltern haften für ihre Kinder. Zum Eintreten bitte an der Schnur ziehen.«
Grisbald von der Höhe hatte die Schnur entdeckt, atmete noch einmal tief ein und zog dann daran.
Knirschend öffnete sich die Tür und der Ritter machten ein paar Schritte vorwärts.
Was Grisbald nun sah, ließ ihn vor Verblüffung den Mund offen stehen.
Vor ihm lag eine riesige Höhle, die bis zur Hälfte mit Talern, Juwelen und Gegenständen aus Gold und Silber gefüllt war. Und wieder stand dort ein kleines Schild:
»Bitte nichts anfassen. Wenden sie sich bitte an den Drachen.«
Der Ritter sah sich um, doch konnte er den Drachen nicht erblicken. Also räusperte er sich und sagte: »Hallo?«
Nach einem kurzen Moment der Stille, vernahm er ein leises »Pling Pling«, welches sich steigerte und bald in ein Rauschen überging.
Grisbald zuckte zusammen, als sich aus den aufgeschichteten Talern, Juwelen und Gegenständen aus Gold und Silber eine mächtige, riesenhafte Gestalt erhob.
Der Drache!, dachte er und begann leicht zu zittern. Würde man ihn später fragen, so er diese Begegnung überleben sollte, würde er sagen, dass es die Aufregung war, aber auf keinen Fall Furcht. Ritter halt.
»Hurm«, grollte es durch die Höhle. »Ein Eindringling. Nennt mir euren Namen, damit ich ihn in das Buch der Toten eintragen kann, nachdem ich euch das Lebenslicht auspustete. Denn ich bin Fargol, der Große.«
»Öh …«, sagte Grisbald und war sich unsicher.
»Ihr seid doch gekommen, mich zu töten, nicht wahr?«, fragte der Drache.
»Das … ähm … kann ich schlecht leugnen«, antwortete der Ritter.
»Worum geht es diesmal? Wollt ihr eine Lady beeindrucken? Oder Ruhm und Ehre ernten? Oder bezahlt man euch, damit ihr die Drecksarbeit anderer Leute erledigt?«
»Es ist ein Auftrag des Königs!«, gab Grisbald stolz zurück.
Der Drache verdrehte die Augen. »Der König. Natürlich. Ich hätte es mir ja denken können.«
»Was … äh … meint ihr denn damit?«, fragte der Ritter nach.
»Junger Freund, ich lebe nun schon seit 3456 Jahren. Und noch nie …«. Plötzlich begann Fargol zu husten, sodass die gesamte Höhle bebte.
Dann sagte er, mit einer weniger imposanten Stimme: »Dieses verfluchte Grollen. Seit 200 Jahren ist das schon so. Ich glaube, ich werde zu alt für den Kram.«
»Habt ihr Halsschmerzen?«, fragte Grisbald mitfühlend nach.
»Ach, ja. Das fing irgendwann an, nachdem ich in einen falschen Ritter gebissen habe. Er hatte sich mit Gift vollgestopft, um mich damit zu töten. Armer, hinterlistiger Wicht.«
»Hat nicht funktioniert, was?«
Der Drache zog ein Augenlid hoch. »Also das ist die blödeste Frage, die ich seit langem gehört habe.«
»Ja, ich gebe zu, es war unüberlegt«, antwortete Grisbald von der Höhe beschämt.
»Das will ich wohl meinen«, entgegnete Fargol.
»Was … äh … ist denn jetzt mit dem König?«, versuchte der Ritter, von der peinlichen Situation abzulenken.
»Ja, der König«, erwiderte der Drache. »Er versucht seit Jahren, mich umzubringen. Aber kommt der feine Herr etwa selbst? Nein. Dafür ist er sich zu schade. Er schickt immer wieder irgendwelche Ritter aus.«
»Von denen bisher keiner Erfolg hatte«, sagte Grisbald und fügte schnell hinzu: »Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung.«
»Ganz offensichtlich. Und wisst ihr auch, warum er mich töten lassen will?«
»Ich nehme an, ihr brennt Dörfer nieder, tötet Vieh und Menschen und …«
Fargol zischte und unterbrach den Ritter: »Nein. Genau das tue ich nicht. Er ist hinter meinem Schatz her. Außerdem will er aus meiner Höhle eine Vergnügungshöhle machen. Mit mir als Hauptattraktion. Ein waschechtes Drachenskelett.«
»Ja, da würde man schon ein stattliches Sümmchen für den Eintritt bezahlen«, erwiderte Grisbald und nickte.
»Es ist alles so kommerziell geworden. Früher, ja, da kamen die Ritter noch, weil sie Ruhm und Ehre erlangen wollten«, sagte der Drache melancholisch.
»Oder um eine Lady zu beeindrucken«, hängte der Ritter an.
»Genau. Hah. Woher wisst ihr das?«
»Ihr habt das bei unserem Kennenlernen erwähnt«, antwortete Grisbald.
»Ach, ja, stimmt. Ich sag ja: Ich werde langsam zu alt für den Kram.«
»Und wenn ihr einfach weggeht?«, machte der Ritter einen Vorschlag.
»Wo soll ich denn hin?« Die Stimme Fargols klang betrübt. »Auf allen Kontinenten sind die Drachenhöhlen bereits bewohnt. Ich kann mich ja schlecht einfach so in einen Wald oder auf eine Wiese legen. Und in den Bergen ist es unbequem.«
»Das ist ein Dilemma«, stimmte der Ritter zu.
»Nunja, es ist, wie es ist. Aber genug geplaudert. Tut, was ihr tun wolltet.«
Grisbald war überrascht. Dann sagte er: »Ja … na dann.«
»Ihr habt den ersten Schlag, Herr Ritter. Aber … einen Moment. Ihr habt mir euren Namen noch nicht verraten. Ich muss den doch in das Buch der Toten eintragen.«
»Ich bin Grisbald von der Höhe, Ritter der goldenen Rose!«, antwortete der Ritter zaghaft.
»Von der goldenen Rose?«, fragte Fargol nach.
»Ja, genau. Leider der Letzte.«
»Dann kann ich euch nicht töten«, sagte der Drache nachdenklich.
»Nein?«, fragte Grisbald überrascht nach. »Aber wieso denn nicht? Ich meine, dass ist für mich ja positiv, aber ich frage mich doch, warum?«
»Es gibt Gründe. Das ist alles, was ich euch sagen kann, Herr von der Höhe«, antwortete der Drache geheimnisvoll.
»Na sowas. Aber was machen wir denn jetzt?«
Fargol setzte ein Grinsen auf. »Ihr habt immer noch den ersten Schlag.«
»Aber ich kann euch doch jetzt nicht mehr töten, Fargol. Das gehört sich doch nicht«, sagte Grisbald ehrenvoll.
»Macht nur. Ich bin bereit«, entgegnete der Drache.
»So sei es denn.« Der Ritter zog sein Schwert, hielt den Schild vor sich und drang, ohne weitere Worte oder eine Vorwarnung, auf den Drachen ein und schlug zu.
Mitleidig schüttelte Fargol den Kopf und sagte: »Erbärmlich. Kommt, versucht es noch einmal.«
Nach mehreren Versuchen, die gegen die Panzerung des Drachen nicht das Geringste ausrichten konnten, gab es der Ritter schließlich auf.
Keuchend vor Anstrengung stand er vor Fargol und sah ihn ratlos an. Dann erinnerte er sich an seine Lanze, die noch auf seinem Ross wartete.
»Ich … hätte noch … eine Lanze«, meinte er atemlos und der Drache nickte.
»Ja, versucht es damit.«
»Ich … muss sie holen«, keuchte Grisbald.
»Wir gehen zusammen. Hier drin habt ihr wenig Spielraum für euren Pikser.«
Und so gingen Ritter und Drache gemeinsam zum Höhleneingang. Grisbald schritt auf sein Pferd zu, setzte sich in den Sattel und legte die Lanze an. Der Drache baute sich auf und wartete auf den Angriff des Ritters.
Dieser gab seinem Ross die Sporen und preschte mit der Waffe im Anschlag auf den Drachen zu. Dann schepperte es und er lag neben seiner zerborstenen Lanze auf dem Boden. Sein Pferd galoppierte in wilder Furcht davon.
»Unentschieden?«, fragte Grisbald und der Drache lachte.
»Wovon träumst du nachts, Jungchen?«, fragte Fargol und grinste.
Jetzt wurde der Ritter wütend, rappelte sich auf und stürmte zu Fuß auf den Drachen zu. Mit seinen behandschuhten Fäusten drosch er auf die Zehen Fargols ein.
»Ja hat man sowas schon gesehen?«, amüsierte sich der Drache, krümmte dann seine Zehen zusammen und schnippte den Ritter hoch in die Luft.
»Guten Flug«, rief er ihm nach und trottete zurück in seine Höhle.
Grisbald von der Höhe setzte ein ungläubiges Gesicht auf und flog hoch über die Baumwipfel hinweg. Ein Falke sah ihm verdutzt nach, krachte dann gegen eine Baumkrone und landete unsanft auf dem Boden. Danach schwor er sich, in der nächsten Zeit weniger Vogelbeeren zu verspeisen.
Der Ritter aber flog noch einige Zeit weiter, versuchte, mit den Armen zu rudern, um sich in der Luft zu halten, ging aber langsam in den Steilflug über. Krachend landete er schließlich, recht unsanft, auf der Straße, die zurück nach Tessal führte.
Als er endlich das Schloss erreichte, staunten die Wachen nicht schlecht, denn der Ritter stand in Unterwäsche vor ihnen und knallte die Überreste seiner Rüstung auf den Boden.
»Ich bringe das zurück. Und sagt dem König, er kann sich den Drachen und seine Belohnung an die Krone stecken!«, brüllte er wütend und verließ das Schloss wieder.
Natürlich wurde alsbald nach Grisbald von der Höhe gefahndet, schließlich hatte er mit seiner Aktion den König beleidigt, doch bis zum heutigen Tage wurde er nicht aufgegriffen.
Man munkelte, dass es den Ritter weit fort geführt und er ein neues Leben als Schweinehirt begonnen hätte. Aber dies ist bis heute nicht bewiesen.
Ende